Von den Schmerzen, seinen Wirt in Berlin verloren zu haben

Eine Lieblingskneipe ist viel wert. Was man vermisst, wird einem oft erst klar, wenn es zu spät ist, stellt unser Autor fest.

Zum Wohl! Bier.
Zum Wohl! Bier.dpa

Die Definition einer Stammkneipe ist fließend. Für die einen ist sie im Idealfall unten im Haus gelegen und so was wie ein zweites Wohnzimmer. Für andere ist sie ein weniger häufiger, aber dennoch regelmäßiger Treffpunkt. Bei Verabredungen mit einer langjährigen Freundin war eine Gaststätte, die mittig zwischen uns liegt, stets das feste Ziel. In den vergangenen Pandemie-Monaten mit ihren schwindelerregenden Infektionszahlen hatten wir die Gastronomie gemieden und uns nur zu Hause besucht.

Dank der frühsommerlichen Temperaturen treffen wir uns vor ein paar Tagen also zur inoffiziellen Saisoneröffnung – und werden böse überrascht. Ja, der Wirt hatte erzählt, dass er keine Lust mehr hätte. Mal stand die Verlängerung des Mietvertrags aus, die dann aber problemlos vonstattenging, dann folgte sein zehntes Jubiläum, das er als guten Zeitpunkt für eine Zäsur empfand. Trotzdem blieb er und irgendwann hatte er so oft von seiner Dienstmüdigkeit erzählt, dass man sie für einen Running Gag hielt und dachte: Das macht der eh nicht.

Und nun hat der alte Wirt doch aufgegeben

Und nun hat es der alte Wirt, der selbst noch gar nicht alt war, doch getan und ist einer neuen Bewirtschaftung gewichen. Zu Beginn der Corona-Zeit hatte er schon mal einen Interessenten gehabt, der dann aber wegen der unsicheren Lage abgesprungen war. Man konnte den abwinkenden Interessenten so gut verstehen wie den abschiedswilligen Wirt. Der hatte damals pflichtbewusst beim Ordnungsamt angefragt, ob er ein paar Tische mehr rausstellen dürfe, an Plätze, wo sie niemandem den Weg versperren würden. Die Antwort lautete, obwohl doch allen virusgeplagten Gastronomen unbürokratisch geholfen werden sollte: Nein. Da kann einem schon die Lust vergehen.

Der neue Wirt ist damit beschäftigt, seinen ebenfalls neuen Kellner nicht eben unauffällig zurechtzuweisen. Der Wirt nimmt gerade am Nebentisch eine Bestellung auf und guckt dabei nicht seine Gäste an, sondern mit bösem Blick seinen Mitarbeiter, dem er rüde ein paar Handzeichen gibt. Die Bestellung muss wiederholt werden. Tatsächlich dauert es sehr lange mit den Getränken und besonders aufmerksam sind die Neuen auch nicht. Statt seinem Kellner aber zu helfen, als das Gästeaufkommen etwas steigt, lässt sich der Wirt lieber an einem freien Tisch nieder und raucht.

Um kurz vor zehn bittet er alle Gäste nach drinnen. Gegenüber wohne eine kratzbürstige Nachbarin, die sich gestört fühle und gerne die Polizei verständige. Nun, die wohnte dort auch schon zu Zeiten des alten Wirts, der zur gleichen Uhrzeit im Bedarfsfall auf die Lautstärke hinwies, uns aber stets draußen sitzen ließ, bis er dichtmachte. Hoffentlich geht es ihm gut.