Diebstahl in Berlin: „Ein Fahrrad hält drei Jahre, dann ist es geklaut“

Die Zahl der Fahrraddiebstähle in Berlin ist wieder gestiegen. Eine neue Karte zeigt, in welchen Kiezen es besonders schlimm ist. Eine Tour durch die Hotspots.

Ein Mann kettet sein Fahrrad am Alexanderplatz an.
Ein Mann kettet sein Fahrrad am Alexanderplatz an.Emmanuele Contini

Eine vierköpfige Familie ist mit Fahrrädern in der Bergmannstraße in Kreuzberg unterwegs. Die Mutter und die Tochter im Teenager-Alter haben je ihr eigenes Rad. Der Vater fährt ein Lastenrad, vorn sitzt die etwa achtjährige Tochter neben Tüten mit Lebensmitteln. Nachdem die Familie ihre Räder angeschlossen hat, fragen wir sie, ob ihre Fahrräder schon mal gestohlen wurden. „Ja, drei Räder hat man uns schon geklaut, das letzte im vergangenen Herbst“, sagt die Mutter. Der Vater fügt hinzu, dass es „dazugehöre, sich aber gebessert habe hier im Viertel“. Fahrraddiebstahl sei doch Normalität im Berliner Stadtzentrum.

Der Alexanderplatz, Alt-Treptow und der Bergmannkiez liegen innerhalb des S-Bahn-Rings, sind belebte Stadtviertel, voller Touristen – und sind drei Hotspots von Fahrrad-Diebstählen in Berlin. Nirgendwo in der Stadt wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres so viele Räder geklaut wie in diesen drei Kiezen. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage des Friedrichshainer Grünen-Abgeordneten Vasili Franco hervor.

Der Alexanderplatz, Alt-Treptow und der Bergmannkiez sind Fahrraddiebsstahl-Hotspots.
Der Alexanderplatz, Alt-Treptow und der Bergmannkiez sind Fahrraddiebsstahl-Hotspots.Grafik: BLZ/Galanty; Quelle: Anfrage Abgeordnetenhaus Berlin

Demnach ist die Zahl der Fahrraddiebstähle in Berlin wieder deutlich gestiegen: 12.490 Räder sind bei der Polizei im ersten Halbjahr 2022 als gestohlen gemeldet worden – 30 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die meisten Meldungen gab es am Alexanderplatz mit 123 geklauten Rädern, in Alt-Treptow wurden 121 Räder gestohlen, im Bergmannkiez waren es 110. Zum Vergleich: Im gesamten Bezirk Marzahn-Hellersdorf wurden von Januar bis Juli nur 266 Räder gestohlen gemeldet.

Die Aufklärungsquote bei Fahrraddiebstahl ist seit mehreren Jahrzehnten niedrig. 2021 wurden 4,6 Prozent der Fälle von der Polizei aufgeklärt. Ein Jahr zuvor lag die Quote bei 4,7 Prozent, im Jahr 2019 lag sie sogar nur bei mickrigen vier von 100 Fällen. Auch die Schadenssumme ist gestiegen. Sie belief sich für das Jahr 2021 auf fast 22 Millionen Euro, für 2022 liegen noch keine Zahlen vor. Grünen-Abgeordneter Franco fordert, dass „die Bekämpfung des Fahrraddiebstahls eine höhere Priorität im Polizeialltag bekommen müsse“.

Oftmals werden nur Einzelteile von Fahrrädern gestohlen.
Oftmals werden nur Einzelteile von Fahrrädern gestohlen.Emmanuele Contini

Auch der Alexanderplatz ist ein dunkelroter Punkt auf der Karte der Fahrraddiebstähle in Berlin. Touristen, Pendler und Jugendliche bestaunen die Weltzeituhr, den Fernsehturm und den Neptunbrunnen. Auch viele Fahrradfahrende sind unterwegs, schließen ihre Räder an oder ab, schieben sich durchs Gedränge. Auffällig an den Fahrradständern: Besonders viele Teile sind hier offenbar gestohlen worden, mal fehlt ein Rad, mal ein Sitz, mal beides.

„Niemals sägt hier ein Dieb mein Schloss auf!“

Wesley, ein gebürtiger New Yorker, schließt gegenüber der Weltzeituhr sein Fahrrad an. Ihm ist die Situation mit den Diebstählen bekannt, trotzdem sei sein Rad „praktischer und schneller“ als der öffentliche Nahverkehr. Er klingt wie viele Berliner, die man zu diesem Thema befragt: etwas resigniert. Die Diebstähle sind lästig, gehören aber leider zum Alltag in der Innenstadt. Ein Mann im mittleren Alter erzählt im Bergmannkiez, dass ihm in seinem Leben schon vielleicht zwanzig Fahrräder gestohlen worden seien: „Ein Fahrrad hält vielleicht drei Jahre, dann ist es geklaut.“

Am Alexanderplatz will Alessandra aus Rom, seit acht Jahren in Berlin, ihr Fahrrad abschließen. „Mir wurden schon zwei Fahrräder in Berlin gestohlen – eins in der Oranienstraße und ein anderes Mal eins am Südstern in Kreuzberg“, sagt sie. Am helllichten Tag sägte dort ein Mann an ihrem Rad, als sie einkaufen war. Sie habe nur gedacht: „Es ist mitten am Tag in der Innenstadt, niemals sägt hier ein Dieb mein Schloss auf!“ Sie machte ein Foto. Der Dieb rannte weg, als Alessandra ihn konfrontieren wollte.

Passanten schlendern mit dem Fahrrad über den Alexanderplatz.
Passanten schlendern mit dem Fahrrad über den Alexanderplatz.Emmanuele Contini

Die Polizeiwache auf dem Alexanderplatz will keine Auskunft geben, verweisen auf die Pressestelle. Alles rund um das Fahrrad ist zwar eines der „Jahresschwerpunktthemen“ der Berliner Polizei, wie es im Konzept „Sicherheit im Wohnumfeld“ heißt, jedoch gelingt es den Behörden nicht, die Zahl der Fahrraddiebstähle zu senken. Schwerpunkteinsätze an neuralgischen Orten sollen die Lage ändern und Expertentreffen zu Ideen für mehr Sicherheit führen.

Der Ortsteil Alt-Treptow liegt zwischen Neukölln, Kreuzberg, Ostkreuz und dem Plänterwald, etwas abseits der S- und U-Bahnhöfen. Vielleicht wird deshalb hier besonders viel Rad gefahren. Der Kiez ist ein weiteres Eldorado für Fahrraddiebe. Elena, Französin, lebt seit mehr als zwei Jahren in Berlin. Sie hat von der Statistik gehört, sagt sie. „Es war mir vorher nicht bewusst und mir wurde mein Rad auch noch nie gestohlen“, sagt sie. Elena würde ihr Fortbewegungsmittel über Nacht nie draußen stehen lassen, sagt sie. Zusätzlich will sie sich jetzt informieren, ob ein großes Panzerkabelschloss oder eine Versicherung gegen den Diebeswahn in der Fahrradstadt-Berlin helfen würden.

Ein seltenes Happy Ending

Paulus Ponizak ist Foto-Chef bei der Berliner Zeitung und lebt seit 18 Jahren im Bergmannkiez. Auch ihm und seiner Familie wurden in den vergangenen Jahren mehrere Fahrräder geklaut, sowohl tagsüber als auch nachts. Ihm selbst wurden drei Räder gestohlen, seiner Frau sogar fünf. Hinzu kommen drei Kinderwagen und eine skurrile Geschichte, die sich vor anderthalb Jahren ereignete.

„Wir schenkten unserer Tochter ein altes, sehr markant-gelbes Peugeot-Fahrrad aus den 70ern“, erzählt Ponizak. Plötzlich stand das Fahrrad jedoch nicht mehr an dem Ort, an dem die Tochter es angeschlossen hatte, im Treppenhaus. Die Familie war wütend, die Tochter weinte. Bei der Polizei wurde Anzeige erstattet, man „kenne ja die Wege nach all den Jahren“. Nach drei Tagen – die Wendung: Eine Freundin der Tochter sah das Rad nur zehn Fußminuten entfernt vom Wohnort der Familie. Mithilfe der Polizei ging es an die rechtmäßige Besitzerin zurück – ein seltenes Happy Ending.