Stattbad Wedding: Trocken, aber lebendig
Berlin - Es ist eine dieser Berliner Geschichten. Es geht um die Umwidmung von Althergebrachtem, um eine Zwischennutzung. Es ist jetzt zehn Jahre her, dass im Stadtbad Wedding in der Gerichtstraße das Wasser abgelassen wurde. Für immer. Schlappe 95 Jahre nach Eröffnung des Baus von Stararchitekt Ludwig Hoffmann. Der Tod eines öffentlichen Ortes also? Nein. Das Gegenteil ist richtig.
Samstagnacht im Stattbad, wie das ehemalige Schwimmbad jetzt heißt: Eine Bar neben dem Eingang, die Stattbar, ist knüppelvoll. Es ist Wiedereröffnung. Gerade haben zwei Frauen gesungen. Jetzt stehen die Gäste beim Bier in der Gegend rum. Gelegenheit, sich das Design der gläsernen Bar anzuschauen. Zwei Männerköpfe glotzen von einer Wand herunter, auch über der Theke sind sie zu sehen, selbst an der Fassade hängen ihre Bilder. In einer Ecke steht ein begehbares, hölzernes Gestell – „unsere Kathedrale der Liebe“, erklären die Designer vom Künstlerduo Biest.
Peaches im Künstleratelier
Drei Monate lang bleibt die Installation, dann sind die nächsten dran, erklärt Barchef Ralph Johannson. Seit Sommer ist die Bar in Betrieb, zunächst einmal pro Woche, jetzt donnerstags bis sonnabends. Außerdem soll werktags auch tagsüber geöffnet sein. Dann ist hier Kantine. Schließlich sind die Barbetreiber nicht die einzigen Nutzer.
Inzwischen haben sich 70 Künstler in Ateliers und Studios angesiedelt, darunter Musiker wie Peaches oder Jochen Distelmeyer. Maler sind dabei, Designer und Autoren. Eine Art des Tacheles im Wedding ist entstanden.
In dem kleineren der beiden früheren Schwimmbecken, dem sogenannten Kinderbad, ist eine Leinwand für einen Film aufgehängt. In den Gängen um das Becken stehen Tische, an denen junge Menschen an Bildschirmen sitzen. Der Chaos Computer Club hatte sich dort eingemietet. Im großen Schwimmbecken ist eine temporäre Skaterbahn aufgebaut. Im Labyrinth der ehemaligen Umkleiden und Duschräume muss es kürzlich Kunst-Performances gegeben haben, fette Farbkleckse und Reste undefinierbarer Skulpturen zeugen davon. Nachts um zwei stehen junge Menschen in einer langen Schlange für eine Party an.
2,3 Millionen Euro soll der Umbau kosten
Möglich gemacht wurde dieses Toben auf einem Abenteuerspielplatz für Erwachsene von Arne Piepgras. Der Mann ist Immobilienentwickler, kümmert sich um Flächen für große Lebensmittel-Discounter – und immer häufiger auch um Räume für Kunst. Vor einigen Jahren stieß Piepgras, der seine Zeit etwa zu gleichen Teilen auf Sylt und in Berlin verbringt, auf die Villa an der Landsberger Allee und machte sie zu einem Ort für Off-Kultur. In Friedrichshain konnte er bald nicht mehr mitbieten, da entdeckte Piepgras das leerstehende Bad, das vollends zu verkommen drohte. Er kaufte das Gebäude für 270.000 Euro, seitdem verschlingen allein die Betriebskosten jährlich 170.000 Euro. Geld, sagt Arne Piepgras, habe er bisher mit der Immobilie nicht verdient.
Das soll sich ändern. Er habe eine Baugenehmigung für eine Veranstaltungshalle für Konzerte vor 800 Personen. Außerdem plant er eine Dauerausstellung von Street Art und Skater-Kunst sowie Räume, die er als temporäre Arbeitsplätze für Kreative vermieten will. Das Betahaus in der Prinzessinnenstraße Kreuzberg steht Pate für diese Idee.
Insgesamt 2,3 Millionen Euro, schätzt Piepgras, werde er für den Umbau brauchen. Die bisherigen Mieter will er halten, sagt er. Denn: „Ich habe im Stattbad viele tolle Erlebnisse gehabt.“