Strafen fürs Schulschwänzen: Jeder fünfte Berliner Schüler fehlt unentschuldigt
Viele Schüler gehen lieber ins Einkaufszentrum als in den Unterricht, oder sie daddeln zu Hause vor dem Computer. Sie schwänzen. Nach den jüngsten Zahlen der Bildungsverwaltung fehlte im ersten Halbjahr des Schuljahres 2014/15 jeder fünfte Berliner Schüler mindestens einmal unentschuldigt. Knapp 3000 Siebt- bis Zehntklässler fehlten sogar mindestens elf Schultage und noch länger, ohne eine Entschuldigung abzugeben.
Dennoch war die Zahl der Schulschwänzer im vergangenen Schulhalbjahr erstmals seit Jahren wieder leicht rückläufig. Insbesondere gab es weniger Schüler mit mehr als 20 Fehltagen. Offenbar machen sich hier auch die Maßnahmen gegen das Schwänzen bemerkbar, die in den vergangenen Monaten in Kraft getreten sind.
Auf Initiative des Neuköllner SPD-Politikers Joschka Langenbrinck wurden weitgehende Strafen für Eltern von Schwänzern festgesetzt. Schulen sollen dem Bezirk bereits dann eine Schulversäumnisanzeige übermitteln, wenn ein Jugendlicher an fünf nicht aufeinander folgenden Tagen dem Unterricht fernbleibt. Zuvor mussten Schulschwänzer erst nach zehn unentschuldigten Fehltagen gemeldet werden. Von der Versäumnisanzeige werden die Schulaufsicht, das Jugendamt und die Schulpsychologen automatisch informiert.
Bußgeld von über 100 Euro
In der Folge verhängte allein der Bezirk Neukölln im vergangenen Schuljahr in 610 Fällen Bußgeld, teilweise deutlich über 100 Euro. Das waren mehr Fälle als zuvor. Polizeiliche Zuführungen von Schülern gab es aber nicht. „Wir gehen konsequent vor und achten darauf, dass die Schulen melden“, sagte Neuköllns Bildungsstadtrat Jan-Christopher Rämer (SPD).
Der Bezirk Mitte führte auf Initiative von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ein Modellprojekt ein, das ausgeweitet wird. Schulaufsicht, Jugendamt und Familiengerichte arbeiten zusammen: Wenn Eltern den Schulbesuch des Kindes nicht sicherstellen können, wird das dem Familiengericht als Kindeswohlgefährdung gemeldet. In letzter Konsequenz droht Eltern sogar der zeitweise Entzug des Sorgerechts. Die Bildungsverwaltung erarbeitet derzeit eine Handreichung zum Umgang mit Schulschwänzern. Hier soll auch schon auf Kinder eingegangen werden, die sich dem Unterricht in einer ersten Stufe nur entziehen, indem sie besonders oft auf Toilette gehen.
„Schuldistanz hat unterschiedliche Ursachen“, sagte Scheeres. Das könnten zum Beispiel Lernrückstände sein. Schulpsychologen nennen familiäre Probleme oder Mobbing als weitere Gründe. Manche Jungen finden es cool, mit ihren Freunden außerhalb der Schule „abzuhängen“. Andere jugendliche Schüler helfen abends aus – zum Beispiel im Imbiss des Onkels.
Das Ganze ist auch ein soziales Problem. In Mitte und Neukölln schwänzen fast vier Mal so viele Schüler wie in den eher bürgerlichen Bezirken Steglitz-Zehlendorf, Treptow-Köpenick oder Pankow. Norman Heise vom Landeselternausschuss empfiehlt Eltern, dafür zu sorgen, dass Kinder früh zu Bett gehen und rechtzeitig aufstehen.
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Zahlen: Von den 103 429 Siebt- bis Zehntklässlern fehlten im ersten Schulhalbjahr 2014/15 genau 20 003 Schüler unentschuldigt. Besonders betroffen waren Förderschulen für Lernbehinderte, aber auch Sekundarschulen. Große Sorge bereiten die über 2 880 Schüler, die mindestens elf Schultage schwänzten. Deren Schulabschluss ist ernsthaft in Gefahr. Davon gehen 757 Jugendliche mehr als 20 Tage und 521 Schüler sogar mehr als 40 Tage nicht zur Schule. Das ergab eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck.
Tendenz: Die Schulschwänzer-Quote erreichte im 1. Schulhalbjahr 2014/15 den niedrigsten Stand seit fünf Jahren – bezogen auf den Anteil der Fehltage auf alle Unterrichtstage. Sie lag bei 1,28 Prozent. Im 1. Schulhalbjahr 2010/11 betrug sie noch 1,43 Prozent. Die Quote der Schüler mit mehr als 20 Fehltagen lag im vergangenen Schuljahr mit 5,3 Prozent aller Schüler erstmals unter 6 Prozent.
Gründe: Ob die Abschaffung der Hauptschule mit besonders hohen Schulschwänzer-Quoten eine Rolle spielte, ist unklar. Die Strafandrohungen zeigten hingegen Wirkung. Außerdem entschuldigen Eltern ihre Kinder heute häufiger.
Schulpflicht: Schulpflichtig ist, wer in Berlin seine Wohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Ausbildungs- oder Arbeitsstätte hat. Die Schulpflicht endet mit dem Ablauf des zehnten Schulbesuchsjahres.
Vorschrift: Genaueres regelt die „Ausführungsvorschrift Schulpflicht“. Dort steht auch, dass etwa muslimische Schüler an bestimmten Feiertagen des Islam unterrichtsfrei haben können. Generell müssen Eltern schon am ersten Krankheitstag des Kindes die Schule mündlich informieren. Hat die Schule Zweifel an einem ärztlichen Attest, kann sie eine Stellungnahme des Gesundheitsamtes einholen lassen.
Maßnahmen: Fehlt ein Schüler unentschuldigt, muss die Schule bereits am ersten Tag Kontakt mit den Eltern aufnehmen. Hat der Schüler fünf unentschuldigte Fehltage, muss die Schule eine Schulversäumnisanzeige stellen. Das kann sich wiederholen und zu einem Bußgeldbescheid führen. Nicht jede Schule macht das konsequent. In besonders schweren Fällen bringt die Polizei den Jugendlichen zur Schule. Künftig soll auch das Schwänzen von Grundschülern genauer erfasst werden.