Streik der GDL in Berlin: Jeder dritte Lokführer geht lieber arbeiten

Berlin - Einigkeit sieht anders aus. Auch am zweiten Tag des derzeitigen Lokführerstreiks kamen viele S-Bahner zur Arbeit. Normalerweise sind an Wochentagen rund 480 Beschäftigte zum Dienst im Führerstand eingeteilt, teilte die S-Bahn mit. Doch obwohl die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) dazu aufgerufen hat, die Arbeit niederzulegen, meldeten sich am Mittwoch rund 160 Fahrerinnen und Fahrer zur Frühschicht – wie schon am Dienstag. Gut für die Fahrgäste: Sie können sich auf den Ersatzfahrplan für die Streiktage verlassen. „Wir halten, was wir versprochen haben“, sagte Michael Wingerter, der die Produktionsplanung leitet.

Der 50-jährige Fahrplanexperte der S-Bahn und sein Team hatten eine Ahnung: Der Ausstand im April wird nicht der letzte sein, schon bald könnte der nächste kommen.

Überstunden trotz GDL-Streik

Darum begannen sie in der vergangenen Woche damit, vorsorglich einen neuen Notfahrplan zu entwerfen. Als die GDL am Sonntagabend ihre Pläne offenbarte und den achten Streik in der jetzigen Tarifauseinandersetzung ankündigte, waren die Arbeiten längst im Gang.

Der Aufwand war wieder ziemlich groß, sagte Wingerter. Normalerweise dauert es rund ein Jahr, bis der Fahrplan für das 330 Kilometer lange S-Bahn-Netz fertig ist. Wenn ein Tarifstreit schwelt und Streiks drohen, stehen nur wenige Tage zur Verfügung – dann muss alles fertig sein. Wingerter: „Das geht nur, wenn wir straff durcharbeiten“, mit vielen Überstunden und mit Kollegialität. Denn es genügt nicht, ein paar Fahrzeiten in den Computer zu tippen. Andere Abteilungen müssen erfahren, wann wie viele Züge wo gebraucht werden, sie müssen das Personal einteilen und die Fahrgäste informieren.

„Zehn Fachabteilungen sind beteiligt, über 50 Mitarbeiter müssen die Aufgaben meistern“, so Wingerter, dessen Dialekt die Herkunft aus Leipzig verrät. Zwar flossen Elemente aus früheren Notfahrplänen ein, einiges lag schon in der Schublade. Doch auch die sorgfältigste Vorbereitung kann jenen bangen Moment am ersten Streiktag nicht verhindern: Geht der Plan auf?

„Unsere Kalkulation ist, dass sich rund 150?Triebfahrzeugführer trotz des Streiks zum Dienst melden“, sagte der Verkehrsingenieur. Doch woher weiß er, dass es wirklich so viele sind? „Wir wissen es nicht, es ist eine Schätzung“ – die auf Erfahrungen aufbaut. Am Dienstag zeigte sich, dass Wingerter und seine Leute mal wieder richtig geschätzt hatten: Zur Frühschicht kamen nicht nur 150, sondern rund 160?S-Bahn-Lokführer. Statt 30 Prozent konnten 35 Prozent des sonst üblichen Angebotes gefahren werden.

Für solche Fälle gibt es einen Stufenplan. Erst wird die S?5 aus Strausberg, die während des Streiks mindestens bis Alexanderplatz fährt, bis Friedrichstraße verlängert. Dann profitieren die Fahrgäste der S?7, die über den Alexanderplatz hinaus bis Charlottenburg fahren können.

Wingerter: „Stufe 3 wäre, dass es auf der S?25 wieder Zugbetrieb zwischen Yorckstraße und Teltow Stadt gibt“ – normalerweise sieht der Notfahrplan dort lediglich Busverkehr vor. Doch diese Aufstockung war bislang nicht möglich, so groß ist die Streikmüdigkeit noch nicht.

Der ganz besondere Kick

Auch wenn der Ersatzfahrplan funktioniert: Pausieren können die Planer dennoch nicht, sie müssen die nächste Etappe vorbereiten. Wenn der Streik endet (bisher ist das für Sonntag 9 Uhr, geplant), stehen nicht alle Züge am vorgesehenen Platz. Auch das Personal muss sich erst an die Einsatzorte begeben. Erst ab 10 Uhr kann sich der Betrieb normalisieren, sagte Wingerter. „Am Sonntag gegen 13 Uhr sollte alles wieder im Normalbetrieb fahren.“

Und wenn der Streik früher endet? Dann müsste noch schneller neu geplant werden. „Für Planer wie mich ist das schon ein Kick, solche besonderen Fahrpläne zu bauen“, sagte der S-Bahner. „Das heißt aber nicht, dass ich so einen Kick öfter brauche.“