Streit um Religionsfreiheit auch in Berlin: Beschneidungs-Urteil empört Religionsvertreter
Berlin - „Bei uns ist die Beschneidung nicht nur ein religiöser, auch ein kultureller Akt“, sagte am Mittwoch der Vorsitzende der Neuköllner Sehitlik Moschee, Ender Cetin. „Jede Woche gibt es große Beschneidungsfeste, das gehört zu unserem Alltag.“ Weitaus heftiger reagierte Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin: „Das ist eine Kriegserklärung an das Judentum!“ Auch die christlichen Kirchen kritisierten eine Einschränkung der Religionsfreiheit.
Die Kölner Richter haben in einer am Dienstag bekanntgewordenen Entscheidung die Beschneidung von minderjährigen Jungen als Körperverletzung gewertet. Der Arzt, der sie vorgenommen hatte, wurde zwar frei gesprochen. Aber nur, weil er noch davon ausgegangen war, dass so ein Eingriff nicht strafbar ist. Das Urteil ist rechtskräftig. Vor Gericht war der Fall gelangt, weil bei dem vierjährigen Sohn einer Muslimin nach der Beschneidung Komplikationen auftraten und er in die Kindernotaufnahme eingeliefert wurde. Diese alarmierte die Polizei. Die Staatsanwaltschaft klagte den Arzt wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen an.
Keine neue Debatte
In Berlin, wo nach Schätzungen etwa 300.000 Muslime und bis zu 15.000 Juden leben, gab es nach Auskunft von Kammergerichtssprecher Tobias Kaehne bislang kein Urteil zu der Frage, ob religiös motivierte Beschneidungen strafbar sind. Die Kölner Entscheidung bringt aber auch hiesige Mediziner, die solche Eingriffe vornehmen, unter Druck. Sie hat Signalwirkung: Künftig kann sich kein Arzt mehr darauf berufen, er hielte Beschneidungen in Deutschland für erlaubt. Bei welcher muslimischen oder jüdischen Institution man am gestrigen Mittwoch anrief, jeder kannte das Kölner Urteil. Ebenso Arztpraxen, die in der Stadt bislang ganz offiziell auch auf ihren Internetseiten Beschneidungen anbieten. Wie viele Mediziner solche Eingriffe vornehmen, ist nicht erfasst. Von den Ärzten war keiner für eine Stellungnahme zu erreichen.
Ganz neu ist diese Debatte um die Beschneidungen nicht. In der Berliner Urologischen Gesellschaft werde über nicht medizinisch gebotene Beschneidungen seit Jahren kontrovers diskutiert, sagt deren Präsident Jörg Schröder. „Das Urteil entspricht unserer gängigen Praxis und schafft eine gewisse Klarheit.“ Andererseits könne er nachvollziehen, so Schröder, dass es für gläubige Ärzte absurd sei, Beschneidungen abzulehnen, da damit die betroffenen Kinder als Ungläubige stigmatisiert würden: „Da ist der Gesetzgeber gefragt.“
Der Zentralrat der Juden hat den Bundestag bereits am Dienstag aufgefordert, Rechtssicherheit zu schaffen und kritisierte das Urteil als „beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“. Ähnlich sieht es die Türkische Gemeinde in Deutschland. Sie äußerte zudem die Befürchtung, dass es nun bei Jungen zu Eingriffen in Hinterzimmern kommen könnte.
Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg sieht in dem Urteil ein weiteres Zeichen für die Entfremdung gegenüber religiösen Riten. Die Katholische Bischofskonferenz kritisierte es als „schwerwiegenden Eingriff in die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern“. Mitglieder der islamischen und jüdischen Gemeinschaften müssten sich mit Sorge fragen, ob sie in Deutschland ungehindert ihren religiösen Pflichten nachkommen könnten.