Streit ums Gasnetz: „Berlin Energie“ hat doch Chancen auf die Energienetze
Kein Thema spaltet die Koalition aus SPD und CDU so sehr wie die Energiepolitik. Es geht um die Grundsatzfrage, ob Berlin die Netze für Gas, Strom und Fernwärme künftig in Landeshoheit nehmen soll. Die SPD-Fraktion ist dafür, die CDU eher dagegen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) will das jetzt möglichst klären. Nach Informationen der Berliner Zeitung wird der Senat an diesem Dienstag ausführlich über das Thema beraten. Im Mittelpunkt dieser rund dreistündigen „Energie-Klausur“ steht der Konflikt um die Gasnetz-Konzession. SPD und CDU müssen entscheiden, wie es weiter gehen soll, nachdem das Landgericht das Verfahren für ungültig erklärt hatte. Das Urteil ist inzwischen durchaus umstritten:
Es schien eine klare Sache zu sein: Eine „Backpfeife für SPD, Müller und Nußbaum“, eine gewaltige „Klatsche“ gerade für die Sozialdemokraten – so schrieben es viele Zeitungen im vorigen Dezember. Als das Landgericht Berlin sein Urteil im milliardenschweren Streit zwischen dem Land und dem Energieversorger Gasag verkündete, da gab es kaum einen Zweifel daran, dass die von der SPD jahrelang betriebene Rekommunalisierung des Gasnetzes gescheitert sei – aus Unvermögen der beteiligten Behörden. Überraschend drastisch bescheinigte das Gericht insbesondere der Finanzverwaltung – damals geführt von Senator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) – ein Komplettversagen. Alles falsch gemacht, von Anfang bis Ende. Die CDU im rot-schwarzen Senat, besonders Justizsenator Thomas Heilmann, frohlockte. Die Sozis schmollten. Alle kühnen Pläne, nach dem Gas- auch das Stromnetz von Vattenfall zu übernehmen, schienen ausgeträumt.
Drastische Schelte
Inzwischen sieht das anders aus. Seit einigen Wochen liegt das schriftliche Urteil vor, für dessen Abfassung die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Peter Scholz die erlaubte Drei-Monats-Frist voll ausgeschöpft hat – unter Juristen übrigens ein Indiz für nachhaltige Argumentationsprobleme. Das Land, nun vertreten von Nußbaums Nachfolger Matthias Kollatz-Ahnen (SPD), hat bereits Berufung eingelegt. Und es haben sich etliche Rechtsexperten und Branchenkenner mit der 46 Seiten starken Urteilsbegründung beschäftigt. Die Meinung einer ganzen Reihe von ihnen fällt so drastisch aus wie der Richterspruch: Er tauge wenig bis nichts, heißt es. „Das Urteil ist ein juristisches Irrlicht“, sagt etwa der ehemalige Energie-Manager Thomas Mecke, 56, früher im Vorstand von RWE und Nuon, heute unabhängiger Berater für energiewirtschaftliche Themen.
Mecke, ebenfalls Jurist, kann der Begründung des Landgerichts nichts abgewinnen. Sie stecke nachweislich voller sachlicher Fehler, Missverständnisse und Spekulationen. „Es war in jedem Fall richtig, dass Berlin in die Berufung gegangen ist“, resümiert Mecke. „Das Urteil ist ärgerlich, aber letztlich nicht entscheidend.“
Die Kammer hatte eine Klage der Gasag zu entscheiden. Die einst kommunale Traditionsfirma, privatisiert seit 1998, wollte verhindern, dass der landeseigene Betrieb „Berlin Energie“ das Gasnetz übernehmen und betreiben kann. „Berlin Energie“ hatte 2014 den Zuschlag für die sogenannte Konzession erhalten, die das Land in einem laut Gesetz fairen und transparenten Verfahren an den besten Bewerber zu vergeben hatte. „Berlin Energie“ – eine Neugründung des Landes mit wenigen, aber kundigen Mitarbeitern – schlug die Gasag mit knappem Vorsprung aus dem Rennen, was ein politisches Erdbeben auslöste.
Der rot-schwarze Senat zerstritt sich, kurz nachdem Nußbaum die Entscheidung bekanntgegeben hatte. Justizsenator Heilmann, bis dahin stiller Beobachter, legte plötzlich ein Gutachten von Juristen seines Hauses vor, die das seit Ende 2012 laufende Verfahren mit Verweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) als rechtswidrig einstuften. Nußbaum nahm ihm das übel und warf Heilmann Befangenheit vor, weil eines seiner Unternehmen, die „Ampere AG“, mit Energiepaketen handele. Heilmann stritt den Vorwurf ab, schlichten konnte den Zoff der Herren aber erst Klaus Wowereit.
Eigenständig oder nicht?
Doch auch wenn das Urteil des Landgerichts auf Heilmanns CDU-Linie liegt – einer näheren Überprüfung hält es kaum stand. Energienetz-Experte Mecke kritisiert vor allem den Hauptpunkt der Kammer, dass „Berlin Energie“ kein eigenständiges Unternehmen sei, sondern ein Teil der Landesverwaltung, die über die Vergabe zu entscheiden hatte. Damit sei das Land, so das Gericht, „Richter in eigener Sache“ gewesen, was ein faires Verfahren unmöglich mache. Folge: Der Zuschlag an „Berlin Energie“ wurde für nichtig erklärt.
Doch diese Auffassung hält Mecke für falsch. Laut Energiewirtschaftsgesetz können sich kommunale Eigenbetriebe selbstverständlich um eine Konzession bewerben. „Berlin Energie“ – formal ein Betrieb nach der Landeshaushaltsordnung (LHO), der erst später in eine landeseigene GmbH umgewandelt werden soll – erfülle diese Voraussetzung in jedem Fall, sagt Mecke. „Natürlich kann auch ein LHO-Betrieb eigenständiges wirtschaftliches Handeln gewährleisten, wie es das Energiewirtschaftsgesetz vorsieht.“
Auch Einwände anderer namhafter Juristen spielen für das Landgericht keine Rolle. Der Staatsrechtler Joachim Wieland etwa, Professor und Rektor der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, sieht das im Grundgesetz garantierte Selbstverwaltungsrecht von Kommunen klar verletzt, wenn sie in Fragen der Daseinsvorsorge zu sehr eingeschränkt werden. Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auf die sich auch das Landgericht Berlin beruft, sieht er daher kritisch. Wieland hält ebenso wie der Professor für Öffentliches Recht der Universität Bielefeld, Johannes Hellermann, selbst die Direktvergabe einer Konzession an einen Landesbetrieb – ohne vorherige Ausschreibung – für rechtens, wenn sie denn transparent begründet wird.
Ex-Nuon-Vorstand Thomas Mecke sagt, die unklare und mit jedem Urteil neu interpretierte Rechtslage bei Konzessionsvergaben sei ohnehin „ein unhaltbarer Zustand“. Mehr noch: „Eigentlich ist das ein Skandal, wenn man bedenkt, dass es da um Milliarden Euro geht.“