Südbahn des BER: Anwohner in Schönefeld warten immer noch auf Schallschutz

Mahlow/Eichwalde - Ulrich Raddatz ist kein Gegner des Flugverkehrs, wirklich nicht. Er fliege ja selbst ständig irgendwo hin, und dann sei da ja der ästhetische Aspekt. „Was meinen Sie, wat dat für ein schönes Bild ist, wenn hier abends ein Flugzeug nach dem anderen reinkommt“, schwärmt der 72-Jährige mit breitem rheinischen Akzent. Raddatz kann dieses Panorama Tag für Tag genießen.

Vor sieben Jahren ist der Dachdecker aus Viersen in die Einflugschneise des Flughafens Schönefeld gezogen, der in zwei Jahren zum Hauptstadtflughafen BER werden soll. Nicht einmal vier Kilometer östlich von Raddatz’ Haus in Mahlow, das einst seinem Vater gehörte, beginnt die Landebahn. In 300 Metern Höhe überfliegen die Maschinen den gepflegten Garten, vom Plätschern der Umwälzpumpe im Gartenteich hört man dann nichts mehr.

Es ist nicht die einzige Lärmquelle: 150 Meter entfernt rattern die Güterzüge auf dem Berliner Außenring vorbei, auch die 400 Meter entfernte B?96 verursacht ein ständiges Rauschen. Kaum jemand würde Raddatz um die Lage seines Hauses beneiden, er genießt sie trotzdem.

Zahlreiche Beschwerden

Aber Schallschutz für seine Wohnräume, den will er schon, und bei diesem Thema gerät der gemütliche Herr Raddatz dann doch in Rage. Die Flughafengesellschaft (FBB) sei nicht nur überfordert mit der Umsetzung des Schallschutzprogramms. „Die versuchen uns zu verarschen“, schimpft er, und mit dieser Einschätzung steht er nicht allein.

Von diesem Wochenende an wird der Flugverkehr in Schönefeld nicht mehr über die Nordbahn abgewickelt, die saniert werden muss, sondern über die für den BER neu gebaute Südbahn. Die Flugzeuge fliegen dann ein halbes Jahr lang auf leicht geänderten Routen.

Für Ulrich Raddatz bringt das eine kurzzeitige Entlastung. Mehr als 4?500 Haushalte, die bisher in relativer Ruhe lebten, sind dem Lärm hingegen von jetzt an voll ausgesetzt. Lange Zeit war ihnen versprochen, dass der Schallschutz in allen Häusern bis zum Beginn der Nordbahnsanierung installiert ist.

Doch von diesem Ziel ist die FBB weit entfernt: Nach Zahlen von Ende März sind nur 594 von 4?547 Anträgen auf Schallschutzmaßnahmen abschließend bearbeitet. Grund für die Verschleppung sind die zahlreichen Beschwerden der Betroffenen über die sogenannten Anspruchsermittlungen der FBB, die Gutachter in ihrem Auftrag anfertigen.

Stets betont die Flughafengesellschaft, am BER werde das anspruchsvollste Schallschutzprogramm Europas umgesetzt. Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts darf in den Wohnräumen rund um den BER ein Schallpegel von 55 Dezibel nur 0,005-mal pro Tag überschritten werden, also seltener als zweimal im Jahr. So weit die Theorie. „Die Diskrepanz zwischen den Verlautbarungen und dem, was beim Bürger ankommt, ist riesig“, sagt Christine Dorn, Vorsitzende des Bürgervereins Berlin-Brandenburg (BVBB).

Worin die Diskrepanzen bestehen, dazu kann man die Anwohner der Waldstraße fragen, deren nördliche Seite in Berlin und deren südliche Seite in Eichwalde liegt. Ein älterer Mann mit Schirmmütze und weißem Rauschebart parkt gerade sein Auto am Straßenrand. Seinen Namen möchte er nicht nennen, aber seinen Ärger redet er sich gern von der Seele. Zwei Häuser habe er auf seinem Grundstück, beide nutze er, aber nur für das größere will der Gutachter Schallschutz gewähren. Der Grund: Die Raumhöhe ist zu niedrig.

Bei der FBB heißt es, man sei an die Vorgaben der Bauordnung gebunden – aber die zählte nicht immer so viel wie heute. „Das Haus ist ein Eigenbau aus DDR-Zeiten. Damals war der Staat ja froh, wenn man sich selbst Wohnraum geschaffen hat“, sagt der Mann. Andere Anwohner berichten von Auseinandersetzungen über den Schallschutz für kleine Räume, Küchen etwa werden erst ab einer Größe von zehn Quadratmetern anerkannt.

Was ist zeitnah?

Nicole Brettschneider ist Sachbearbeiterin im Flughafen-Beratungszentrum des Landkreises Teltow-Fläming, sie muss sich mit vielen solcher Fälle beschäftigen. Rund 150 Anfragen erreichten das Beratungszentrum im März. Grundsätzlich sei die Flughafengesellschaft gesprächsbereit, sagt sie. „Wenn wir uns einschalten, finden wir oft eine gemeinsame Lösung.“ Allerdings dauere das mitunter lange. Viele Fälle zögen sich bereits seit dem vorigen Herbst hin. „Oft ist es mit einem Einspruch nicht getan“, sagt Brettschneider. Sie lobt auch: „Die Qualität der Unterlagen, die die Flughafengesellschaft den Anwohnern schickt, ist deutlich gestiegen.“

Ulrich Raddatz stehen diese Auseinandersetzungen noch bevor. Vor mehreren Wochen bekam er einen Brief. „Zeitnah“ werde ein Gutachter einen Termin für die Besichtigung mit ihm vereinbaren. „Können Sie mir sagen, was zeitnah heißt?“, fragt er. Bislang habe sich jedenfalls niemand bei ihm gemeldet. Aber die Eröffnung des BER sei ja eh noch in weiter Ferne, tröstet er sich.