Tempo 30: Verkehrssenatorin bremst Berlin

Berlin - Regine Günther macht Tempo – für mehr Tempo 30. Möglichst bald soll es in Berlin weitere Geschwindigkeitsbeschränkungen geben, kündigte die neue Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz am Donnerstag an. Die Verwaltung habe damit begonnen, Straßenabschnitte auszuwählen, auf denen die Geschwindigkeit beschränkt werden soll. „In vier bis sechs Monaten wollen wir die neuen Tempo-30-Bereiche einrichten“, sagte die parteilose, von den Grünen nominierte Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus.

Die Tempolimits sollen dort ausgeschildert werden, wo die Luft besonders stark mit Stickoxid verschmutzt ist. „Es geht um die Hotspots, Bereiche mit der größten Belastung“, sagte die Senatorin. Auch Straßen, auf denen Linienbusse der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) verkehren, werden einbezogen.

Stickoxid belastet die Gesundheit

Günther: „Mit Hilfe von Messungen wollen wir feststellen, ob Tempo 30 die gewünschte Wirkung erzielt“ – und die Stickoxid-Belastung verringert. Wenn nach einem Stopp wieder losgefahren wird, wird viel von dem Gas frei. „Tempo 30 reduziert die Zahl dieser Vorgänge, weil es für einen gleichmäßigen Verkehrsfluss sorgt“, sagte die Politikerin. Darum zeigte  sie sich zuversichtlich, dass die Beschränkungen in Berlin den erhofften Effekt zeigen werden.

Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) verweist auf eine Untersuchung, wonach Tempo 30 nicht wirkt. „Ich habe mir die Studie angeschaut“, sagte Günther. Sie hält sie nicht für praxisnah. Denn die Messungen hätten spätabends stattgefunden, wenn der Verkehr weniger stark ist und auch bei Tempo 50 gleichmäßig rollt.

Gemessen an der Länge der Abschnitte gilt bereits auf rund drei Vierteln des Hauptverkehrsstraßennetzes Tempo 30. Wo der Autoverkehr als Nächstes ausgebremst wird, steht noch nicht fest. Doch es gibt Anhaltspunkte.  Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat  hoch belastete Abschnitte identifiziert und  übergab die Liste jüngst Verkehrs-Staatssekretär Jens-Holger Kirchner. 20 Hauptstraßen sind  verzeichnet – unter anderem Abschnitte der Leipziger Straße, des Tempelhofer Damms, der Oranienstraße, des Kottbusser Damms, der Kant- und Kolonnenstraße, von Alt-Moabit und Alt-Friedrichsfelde. Statt Tempo 50 soll dort Tempo 30 gelten.

Verkehr produziert 70 Prozent des Stickoxids

Am Donnerstag ließ Günther keinen Zweifel daran, dass auch sie Stickoxid für eine  große Gesundheitsgefahr hält. „Es ist ein Reizgas“, sagte die Senatorin. „Was ich kürzlich von Charité-Ärzten hörte, besorgt mich mehr als es mich beruhigt.“ Ohne ihn zu nennen, kritisierte sie ihren Vorgänger, Andreas Geisel (SPD): „In der vergangenen Legislaturperiode hat das Problem nicht genug Beachtung gefunden.“

Rund 70 Prozent des Stickoxids, das in Berlin in der Luft liegt, entsteht im Berliner Verkehr. Dieselautos und -busse gehören zu den Hauptverursachern, bekräftigte die Senatorin. Tempo 30 sei für Berlin eine Möglichkeit, kurzfristig für bessere Luft zu sorgen. Eine andere Option wäre, Straßenzüge oder Wohnviertel für den Autos zu sperren. Doch das sei „nicht der Weg, den wir gehen wollen“, betonte Günther.

An einem anderen Ziel halte der Senat dagegen fest: Berlin setzt sich auf Bundesebene dafür ein, dass es möglichst bald eine Blaue Plakette gibt, mit der saubere Dieselfahrzeuge gekennzeichnet werden können. Autos, die diesen Aufkleber nicht tragen, sollen in Innenstadtgebieten nicht mehr fahren dürfen. Der Bund konnte sich im vergangenen Jahr nicht darauf einigen, dass die Blaue Plakette eingeführt wird. Doch Beobachter gehen davon aus, dass dies noch 2017 beschlossen wird – spätestens nach  der Wahl.

Dieselauto-Besitzer protestieren

Wie viele Fahrzeuge aus der  Berliner Innenstadt verbannt würden, steht noch nicht fest. Doch viel deutet darauf hin, dass die Zahl groß sein wird. Allein in Berlin sind fast 300.000 Diesel-Pkw zugelassen. Viele sind als Taxis unterwegs. Es gibt auch viele Diesel-Lieferautos.

Schon gibt es Protestschreiben von Berlinern, die auf Herstellerangaben vertraut und sich ein Dieselfahrzeug gekauft haben. „Es wird fast immer nur pauschal von dreckigen Dieseln gesprochen  und nicht differenziert,“ klagte ein Autofahrer aus Kreuzberg in einem Brief an die Berliner Zeitung. In der Wirtschaft haben die Ankündigungen ebenfalls zu Verunsicherung geführt. „Handwerker fragen mich, welches Fahrzeug sie sich für ihren Betrieb überhaupt noch zulegen  können“, sagte der SPD-Umweltpolitiker Daniel Buchholz. Es gebe offenbar kaum Fahrzeuge, die man mit gutem Gewissen kaufen kann.

„Wir können das Problem nicht länger laufen lassen“, konterte die Senatorin. Weil der Grenzwert für Stickoxid überschritten wird, gebe es EU-Verfahren gegen Deutschland. „Wir sind nicht die Treiber, sondern Getriebene“, so  Günther.