Theater in Berlin: Mit „Hotel Berlin“ feiert das Ballhaus Ost zehnjähriges Bestehen
Berlin - Ob man wohl reingucken darf? Neben dem frisch bezogenen Bett steht ein Schuhkarton. Am Ende siegt die Neugier. Der Inhalt: Eine Bankkarte, der Impfpass von einem Andreas R. und ein Kondom, Größe L. Seltsam, von so intimen Gegenständen von Fremden umgeben zu sein.
Wer schon einmal über das Vermietungsportal Airbnb ein Zimmer gebucht hat, weiß, wie sonderbar, aber auch reizvoll es sein kann, in den Betten fremder Menschen zu schlafen, umgeben von ihrem Kinderspielzeug, Klamotten und persönlichem Kram.
Übernachtung nach der Vorstellung
Auch wenn es sich bei dem Karton um Requisite handelt: Diesem Gefühl kann man sich im Ballhaus Ost in der Pappelallee für einen Abend und eine ganze Nacht hingeben. Das Theater öffnet bei der Vorstellung „Hotel Berlin“ alle Türen und verhandelt nebenbei die großen Themen Verdrängung und das Spannungsfeld eines Immobilienmarkts, der längst zur Kampfzone geworden ist, in der nur die Starken sich behaupten.
Auf sechs Stockwerken, vom Keller bis unters Dach, wurden 75 Betten aufgestellt, in denen die Gäste nach der Vorstellung übernachten können. Eine Dusche gibt es im Erdgeschoss. Wie bei Airbnb checkt man zunächst ein und wird mit einer Mischung aus Authentizität und Professionalität willkommen geheißen, mit der sich auch das viel kritisierte Original vermarktet. Man dürfe gerne erst mal das Haus erkunden.
Jeder Raum sieht anders aus
Die Entdeckungstour fühlt sich an wie eine Zeitreise in den Prenzlauer Berg der 90er-Jahre, in unsanierte Häuser, die für abenteuerliche Partys und illegale Clubs genutzt wurden. Im Keller gibt es einen Mini-Kicker und ein Bällebad.
Verwinkelt und weitläufig ist das marode Gründerzeithaus. Aus diesem Alleinstellungsmerkmal schlägt das Theater Kapital: Unter dem Stichwort „morbider Charme“ werden Räume für Hochzeiten und Betriebsfeiern vermietet.
Die Schlafräume sind wunderbar gestaltet. Ein Klappbett unter einer Bar, am Kopfende ein Rotwein-Tetrapack mit fleckigem Glas, Stockbetten werden durch Vorhänge getrennt. Eine Künstlerin ist über den Sommer mit ihrem ganzen Hausstand eingezogen, eine weiß eingerichtete Kammer ist die Parodie auf den beliebten Landhausstil, Strohhaufen inklusive. Jeder Raum sieht anders aus, manche so gemütlich, dass man sich am liebsten gleich hinlegen will.
Die Flucht muss scheitern
Zur Aufführung finden sich alle im großen Saal zusammen. Die künstlerische Leiterin des Hauses, Tina Pfurr, stellt die Eingangsfrage: „Habt ihr Erfahrung mit Mieterhöhung gemacht oder Verdrängung, oder habt ihr selbst verdrängt?“
Zustimmendes, selbstkritisches Gemurmel im Publikum. Immer wieder kreuzen sich an diesem Abend Inszenierung und Realität. Dann wird Co-Chef Daniel Schrader per Video aus Hellersdorf zugeschaltet, wo er übergangsweise Räume gemietet hat. Schnell zeigt sich, dass die Flucht in die Hochkultur scheitern muss, weil sie gegen die harten Fragen der Gegenwart nicht ankommt.
15 Besucher werden hier übernachten und am nächsten Morgen gemeinsam frühstücken. Dann ist Check-out.
Weitere Vorstellungen sind jeden Abend vom 14. bis zum 18. September, Karten unter 030 440 391 68 oder karten@ballhausost.de