Tiergartener Gewerbehof: Ende eines Vorzeigeprojekts
Berlin - Der 57-jährige Sepp Fiedler hat viele gute Ideen. Er hat einen solarbetriebenen Mülleimer erfunden, der Jubelrufe ausstößt, sobald jemand etwas in ihn wirft. Und er hat eine Sektbar und eine Espressomaschine konstruiert, die mit Sonnenenergie betrieben werden. Fiedler gehört mit seiner Firma Solarcafé zu jenen klugen Menschen, die Berlins Image als Stadt der Kreativen prägen. Doch seine Ideen muss er bald woanders reifen lassen. Denn Sepp Fiedler hat die Kündigung für seine Räume im Gewerbehof Kurfürstenstraße 13-14 in Tiergarten erhalten. „Wir müssen zum 31. Dezember raus“, sagt er.
Mit Fiedler verlieren mehrere andere Mieter ihre Räume in dem Gewerbehof – darunter der Kabarettist Arnulf Rating und das Improvisationstheater die Gorillas, die gemeinsam eine Bürogemeinschaft bilden. Dass sie auf die Straße gesetzt werden, ist Folge des Verkaufs der landeseigenen Gewerbesiedlungsgesellschaft GSG. Im Jahr 2007 hat der rot-rote Senat die GSG mit ihren 44 Gewerbehöfen an ein Konsortium um das Immobilienunternehmen Orco verkauft. Orco war da gerade erst ein paar Jahre auf dem Berliner Markt, wollte expandieren und verkündete großsprecherisch, unter anderem das ehemalige Wertheimgrundstück am Leipziger Platz bebauen zu wollen und das Haus Cumberland am Kudamm umzugestalten. Doch die hochtrabenden Pläne gingen nicht auf. Schon bald musste Orco viele seiner Immobilien wieder verkaufen. Vor zwei Jahren wurden mehrere Mitarbeiter der GSG entlassen, in diesem Jahr trennte sich die Orco GSG schließlich von den ersten Höfen. Für 2,4 Millionen Euro wechselte der Gewerbehof in der Kurfürstenstraße zum 1. März den Besitzer, und für 3,7 Millionen Euro erhielt zum 1. Februar eine Immobilie an der Bergfried-/Ecke Ritterstraße in Kreuzberg einen neuen Eigentümer.
„Wo sollten wir denn in vier Wochen 2,4 Millionen Euro auftreiben?“
Neuer Besitzer des Gewerbehofs in der Kurfürstenstraße ist der schottische Künstler Douglas Gordon, der 1993 durch die Videoinstallation „24 Stunden Psycho“ bekannt wurde, eine auf 24 Stunden ausgedehnte Fassung des berühmten Klassikers von Alfred Hitchcock. Gordon beabsichtigt, Galerien und Studios für Künstler einzurichten, sagt eine Mitarbeiterin. Nach Übernahme des Hofs wartete der Schotte nicht lange und schickte Altmieter Sepp Fiedler die Kündigung zu. Zwar hatte der Senat beim Verkauf der GSG vertraglich vereinbart, dass die Mieter im Falle des Verkaufs ein Vorkaufsrecht für den Hof haben, doch blieb diese Regelung für Sepp Fiedler wirkungslos. Die GSG gab ihm die Möglichkeit, innerhalb von vier Wochen ein Angebot abzugeben. „Das war in der Kürze der Zeit aber gar nicht zu machen“, sagt Fiedler. „Wo sollten wir denn in vier Wochen 2,4 Millionen Euro auftreiben?“ Und so ging der Hof an den schottischen Künstler.
Lange Tradition der Berliner Ökologie-Bewegung endet
Die Kündigung für Sepp Fiedler bedeutet das Ende eines Vorzeigeprojekts. Noch vor sechs Jahren listete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Fiedlers Solarcafé auf ihrer Internetseite als positives Beispiel für die Vielfalt in den Höfen der GSG auf. Nicht nur das Solarcafé wird vertrieben, es zerfällt auch die Bürogemeinschaft mit dem Kabarettisten Arnulf Rating und dem Improvisationstheater die Gorillas. Mehr noch: Mit dem Rauswurf des umweltbewegten Fiedler geht zugleich eine lange Tradition der Berliner Ökologie-Bewegung zu Ende. Von Ende der 1970er-Jahre bis weit in die 1990er-Jahre war die Fabrik-etage, die Fiedler nutzt, Heimat des Ökodorfs. Es gilt als Ursprung der Berliner Umweltbewegung: Hier wurde über Jahre die „Giftgrüne Woche“ organisiert – eine alternative Veranstaltung zur Grünen Woche unterm Funkturm. Und in der Fabriketage traf sich die Anti-AKW-Bewegung, um Proteste gegen ein atomares Endlager in Gorleben oder den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf zu organisieren.
„Hier wird sicher ein interessanter neuer Kulturstandort entstehen“, sagt Arnulf Rating zu Gordons Plänen. „Aber wo bleibt das Ursprüngliche?“ „Berlin ist an diesen Orten gemacht worden und diese Orte verschwinden – das ist schade.“ Wie die Zukunft für Sepp Fiedler und die anderen gekündigten Mieter aussieht, ist unklar. „Ich weiß noch nicht, wo ich hinziehen kann“, sagt Fiedler. „Ich habe noch nichts Neues in Aussicht.“