Tocotronic-Konzert-Liebe: Warum ist Wien mir immer wohlgesonnener als Berlin?
Zwei Tocotronic-Konzerte hat unsere Autorin kürzlich besucht – eins in Berlin, eins in Wien. Wo war das Bier besser, wo die Fan-T-Shirts? Ein Vergleich.

Durch einen schönen Zufall ergab es sich, dass ich kürzlich gleich zwei Tocotronic-Konzerte besuchen konnte, sozusagen musikalische Querverkostung. Bei meinem letzten Besuch eines Auftritts der Diskurspopband war ich circa siebzehn und schwer betrunken auf dem Southside Festival, der schwäbischen Antwort auf Rock am Ring. Eine Freundin von mir (wir kannten uns damals noch nicht) erinnert sich, Dirk von Lowtzow habe bei diesem Auftritt ein rosa Hemd getragen – woran ich mich nicht erinnere, aber ich war, wie gesagt, auch schwer betrunken. Rosa ist übrigens meine Lieblingsfarbe.
Zurück in die Gegenwart: Das erste Konzert fand in der Berliner Columbiahalle statt. Mein Freund Martin und ich standen mittelweit vorne, eigentlich genau an der Pogogrenze, wobei ich trotzdem einmal kurz einen Ellenbogen abbekam und etwas von meinem alkoholfreien Bier verschüttete. An dem stimmte einfach gar nichts, Becks, 5,50 Euro die kleine Flasche, wobei nicht mal alles in den Plastikbecher passte und der Rest hinter der Bar verblieb.
Es waren viele sogenannte ältere Semester gekommen, Kulturjournalisten mit Freitag-Umhängetaschen, die jede Songzeile mitsingen konnten, aber auch Fans in unserem Alter, die ihrem zukünftigen Ich zuliebe Ohrstöpsel trugen. So wie bei einer Balenciaga-Fashionshow die Leute in Balenciaga kommen, war der Dresscode in der Columbiahalle von Plattencovershirts bestimmt. Ich trug einen schwarzen Jumpsuit, in dem ich mich halb tot schwitzte.
Ganz anders einige Wochen später in Wien. Angeblich sollte das Konzert draußen stattfinden, was ich angesichts der Berliner Wetterverhältnisse (nieselig und asphaltgrau) nicht glauben konnte. Es fand dann aber wirklich draußen statt, was blöd war, weil ich nur eine Jeansjacke mit feministischen Buttons trug. Die Arena Wien ist weitläufig und kein bisschen abgeranzt, wie das Berliner RAW-Gelände in schön. Es fühlte sich nach Festival an, schon allein durch die vielen Foodtrucks und Einwegregencapes, und auch das Publikum war im Schnitt jünger als in Berlin. Das alkoholfreie Trummer war tadellos und kostete 3,20 Euro der halbe Liter.

Tocotronic und meine feministische Seele
Meinem iPhone und dem Himmel zufolge würde es bald regnen. In weiser Voraussicht sicherte ich mir einen überdachten Platz auf der Tribüne oben links, auf einer Bank stehend, mit hervorragender Sicht. Neben mir tanzten zwei aufgedrehte Frauen, sie hatten aber keine Drogen genommen, sondern waren einfach nur froh, noch mal jung sein zu können. Gespielt wurden die „Hamburg Years“, also ausschließlich Songs der Jahre 1993 bis 2003, von denen ich einige, aber nicht alle mitsingen konnte („Ich weiß nicht, wieso ich euch so hasse, Fahrradfahrer dieser Stadt“ halte ich übrigens für eine der besten Zeilen überhaupt). Bei „This Boy is Tocotronic“ sang Dirk von Lowtzow „This Girl is Tocotronic“, und meine feministische Seele fühlte sich sehr gemeint.
Was ich überhaupt nicht verstand, war das Phänomen der fliegenden Plastikbecher. Im Zehnminutentakt sausten diese parabelförmig aus dem Publikum gen Bühne, leer immerhin, aber trotzdem. Das passte überhaupt nicht zu meinem Bild der höflichen Wienerinnen und Wiener. Vielleicht lag es daran, dass Plastikflaschen in Österreich pfandfrei sind? Glücklicherweise wurde kein Bandmitglied getroffen und auch keines der zwischen den Instrumenten verteilten Kuscheltiere, die auf die Sammelleidenschaft des Sängers zurückzuführen sind.
Apropos Sammeln: Schon in Berlin hatte ich mir ein Tocotronic-Shirt kaufen wollen, auf dem „Digital ist besser“ steht, aber nichts zu machen, alle ausverkauft. Wie immer schien Wien mir wohlgesonnener zu sein. Nach dem Konzert – es hatte drei wohlkalkulierte, aber natürlich total spontan wirkende Zugaben gegeben – stieß ich rein zufällig auf den Fanartikelstand und erwarb eines der letzten T-Shirts in meiner Größe. Es ist schwarz mit stilisierten Sternen drauf, und da steht: „Die Unendlichkeit“.