Tot auf dem Bürgeramt
Unser Autor scheitert bei dem Versuch, sich sein Leben bescheinigen zu lassen.

Berlin-Ich bin tot. Doch, im Ernst. Berlin hat mich auf dem Gewissen, das Land, die Politik, wahrscheinlich der Regierende Bürgermeister Michael Müller höchstpersönlich. Mindestens aber mal Innensenator Andreas Geisel. Schließlich geht es bei mir um eine innere Angelegenheit. Nicht körperlich. Wobei, wenn das weiter so läuft wie bisher ...
Bis auf weiteres jedenfalls brauche ich eine Lebensbescheinigung, einen schriftlichen Beleg meiner menschlichen Existenz. Wer dafür nicht zur Kirche rennen oder einem Notar an die 30 Euro überweisen will, muss die Dienste eines Bürgeramtes in Anspruch nehmen. Meiner lebensbejahenden Natur folgend, suchte ich sogleich die Internetseite des Bezirks Pankow auf. Die informierte mich: „In den Vormittagsstunden ist der eMail-Versand aus dem Terminbuchungssystem etwas verzögert.“ Nur etwas? Wenn es weiter nichts ist.
Ich musste jedoch feststellen, dass sich dieser Zustand auf die Mittagszeit, den Nachmittag, den Abend und die Nacht ausdehnt, und zwar im September und Oktober, ganzjährig sogar, wie ich vermute, aber nicht beweisen kann, weil ab November einschließlich terminbuchungssystematisch alles tot ist, nicht nur bei Lebensbejahungen.
Ich hielt mich nun für schlau, nahm alle Bürgerämter der Stadt ins Visier, glaubte, es mir leisten zu können, ein Angebot aus Heiligensee in den Wind zu schlagen. Als ich den Fehler nach fünf Minuten einsah, war der Termin weg.
Auf diese Weise lernte ich Bobbi kennen. Wir kamen ins Plaudern. Ich so: „Ich benötige eine Lebensbescheinigung.“ Er so: „Ich habe mehrere passende Dienstleistungen für Sie. Könnten Sie bitte die gesuchte Dienstleistung auswählen, um fortzufahren.“ Ich so: „Lebensbescheinigung?“ Er so: „Möchten Sie wissen, welche Voraussetzungen für die Dienstleistung Meldebescheinigung beantragen erfüllt sein müssen?“ Ich so: „Nein, verdammt. Ich brauche eine Lebensbescheinigung und dafür einen Termin!“ Er so: „Ich bin mir nicht ganz sicher. Haben Sie eine Folgefrage zu Meldebescheinigung beantragen oder möchten Sie das Thema wechseln?“
Ein sympathischer Bursche, dieser Bobbi, Chatbot der Berliner Verwaltung, leider im Schriftwechsel etwas überfordert. Um seinen guten Willen zu zeigen, gab er mir aber noch den Tipp mit dem Bürgertelefon. Habe ich schon erwähnt, dass darüber niemand zu erreichen ist?
Wie auch immer. Ich sagte mir, dass mir jetzt nur noch etwas total Verrücktes helfen kann. In der Mittagspause eilte ich vom Büro aus zum nächstgelegenen Bürgeramt, um persönlich vorzusprechen. Im Eingangsbereich informierte mich Herr Osman darüber, dass er mir ohne Termin keinen Zutritt gewähren könne. Er selbst sah sich nicht imstande, mir mein Leben handschriftlich zu bescheinigen.
Ich glaube, er hat mir nur seinen Vornamen genannt. Seinen Ausweis zeigen wollte er mir nicht. Wetten, dass er gar keinen Ausweis hat? Wie sollte er da dran gekommen sein, ohne Termin.