Totes Baby in Hellersdorf: Verhungert und verdurstet
Berlin - Die Obduktion des vor einer Woche in Hellersdorf tot aufgefunden Säuglings hat bestätigt, was Ermittler bereits vermutet haben: Der Junge hat zum Zeitpunkt seiner Geburt noch gelebt. Eine Hundehalterin hatte das Baby am Dienstag in einem Gebüsch an der Tangermünder Straße entdeckt, es war in eine Plastiktüte gewickelt. Das Neugeborene wurde nach der Geburt nicht mehr versorgt, sagte am Montag Justizsprecher Martin Steltner. „Der Junge ist verhungert und verdurstet.“ Ein Mann und eine Frau, die am Sonntag in einer Wohnung in Nähe des Fundortes festgenommen wurden, hätten die Tat weitgehend gestanden.
Bei der Frau soll es sich um die 20-jährige Nadine K. handeln, die aus Schwedt (Oder) stammt und die bereits zwei Kinder hat. Die beiden Söhne, sechs und drei Jahre alt, leben gemeinsam in einer Pflegefamilie, hieß es am Montag. Der festgenommene Mann, Ronny B., ist 21 Jahre alt und stammt aus Friedrichshain. Wie Martin Steltner erklärte, sei der junge Mann aber nicht der Vater des getöteten Säuglings. Aus Ermittlerkreisen hieß es, Ronny B. habe auch einen Sohn. Dieser werde nun vom Kindernotdienst betreut.
Die Wohnung von Ronny B. befindet sich unweit des Fundortes. In ihr soll sich auch die Frau aufgehalten haben. Die sozialen Verhältnisse der beiden seien „extrem schwierig“. Ob die zweifache Mutter von einem Berliner Jugendamt betreut wurde, ist unklar. Hellersdorfs Familienstadträtin Juliane Witt (Linke) hat keinen Kontakt zu ihr. Die junge Frau sei in Schwedt polizeilich gemeldet, so Witt. Das Bezirksamt habe weder von der Schwangerschaft noch von der Geburt des Kindes gewusst.
Auf die Spur des Paares waren Ermittler offenbar durch die Kleidung gekommen, die der tote Säugling trug, darunter eine blaue Mütze mit der Aufschrift „Mami's Liebling“. Das Paar wurde am Montagnachmittag einem Haftrichter vorgeführt. Dieser erließ, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, Haftbefehl wegen Totschlags durch Unterlassen – die Mutter und ihr Freund sollen den Tod des Säuglings durch Nichtstun verursacht haben.
Sich selbst überlassen
Wann genau das Kind geboren wurde, konnte Justizsprecher Steltner nicht sagen. Ermittlungen hätten aber ergeben, dass das Kind zu Hause geboren wurde. „Dann aber gab es wohl Probleme, für die dringend ein Arzt benötigt wurde“, sagte er. Diesen habe das Paar aber nicht gerufen. Stattdessen überließ es das Kind sich selbst. Nachbarn hatten der Polizei von einem Streit des Paares in der vergangenen Woche berichtet, dabei waren auch Kleidungsstücke aus dem Fenster geworfen worden, die in einem Baum hängen blieben. Die Sachen hat die Polizei sichergestellt.
Jedes Jahr gibt es in Deutschland etwa 25 bis 30 Fälle, in denen Frauen ihre Kinder unmittelbar nach der Geburt töten, in Berlin sind es drei bis fünf Fälle im Jahr. Kriminalpsychologen zufolge handelt es sich bei den Täterinnen oft um Frauen, die die Schwangerschaft verdrängt haben und erst durch die einsetzende Geburt mit der Realität konfrontiert wurden. Nicht selten fehlt es den Frauen an sozialen Bindungen und an der Bereitschaft, das eigene Leben verändern zu wollen. Kindstötungen seien aber kein Großstadtphänomen, betonen Kriminalpsychologen. Das Problem der Frauen sei nicht der Ort, an dem sie leben, sondern das Muttersein.
In dem zweiten aktuellen Fall von Kindstötung in Berlin ist die Polizei noch nicht weiter. Vier Tage vor dem Baby in Hellersdorf war in Neukölln ein toter Säugling in einem Kleidercontainer gefunden worden. Der Leichnam war verwest, Ermittler gehen davon aus, dass er zuvor an anderen Orten versteckt war. Bei der Polizei sind bisher 24 Hinweise eingegangen.