Trotz Tempo-30-Zonen: Berlin drohen weiterhin Diesel-Fahrverbote

Der Senat will auf weiteren Hauptverkehrsstraßen in der Innenstadt Tempo 30 anordnen, damit die Luft nicht mehr so stark mit gesundheitsschädlichen Stickoxiden belastet werden. Doch das reicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) nicht aus.

Mit seiner Klage gegen das Land Berlin, die im vergangenen Jahr beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht worden ist, will der Verband schärfere Maßnahmen erreichen. „Auf die Stickoxidbelastung wirkt sich Tempo 30 nur marginal aus. Wir wollen Fahrverbote für alle schmutzigen Dieselfahrzeuge“, sagte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch der Berliner Zeitung am Dienstag . 

Er kritisierte die von den Grünen nominierte Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther, die sich mit mehr Tempo 30 und  dem Verzicht auf Fahrverbote einen „schlanken Fuß“ zu machen versucht. „Ich verstehe Frau Günther nicht. Sie muss mit geeigneten Mitteln dafür sorgen, dass die Berliner Luft sauberer wird“, forderte Resch.

Schädlich für die Gesundheit

Stickoxide, die bei der Verbrennung von Kraftstoff entstehen, schädigen die Gesundheit. Die Gase reizen die Atemwege und können Asthma auslösen. „Sie vergiften Menschen. Auch die Lungenfachärzte der Berliner Charité können viele Fälle schildern.“ 

Es sei aus vielen Gründen sinnvoll, in Städten die Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 30 Kilometer in der Stunde herabzusetzen, betonte Resch. „Aus Gründen der Verkehrssicherheit, um den Verkehrslärm zu verringern, damit schnelle Nahverkehrsmittel indirekt attraktiver werden. Tempo 30 reicht aber nicht aus, um Stickoxid-Emissionen zu verringern.“

Darum müssten Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die strengste Umweltnormen nicht erfüllen, das Ziel bleiben – auch für das Gerichtsverfahren gegen den Senat. „Wir werden es juristisch durchsetzen, dass Fahrverbote kommen müssten.“ 

Um die Luftqualität in 16 deutschen Städten zu verbessern, hat die DUH in mehreren Bundesländern Klagen eingereicht. Nach München errang der Verband auch in Düsseldorf einen Erfolg. Dort kam das Gericht im September 2016 zu dem Ergebnis, dass Fahrverbote gegen Dieselfahrzeuge so schnell wie möglich zu verhängen sind.

Bundesverwaltungsgericht muss entscheiden

Umgesetzt wurde das aber noch nicht, weil sich die Umwelthilfe und das Land Nordrhein-Westfalen darauf einigten, das Thema erst einmal dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen. Es zeichnet sich ab, dass das oberste Gericht im Herbst 2017 berät.  Bereits am 19. Juli will das Verwaltungsgericht Stuttgart über die Klage der Umwelthilfe verhandeln, sagte Resch. 

Wann die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin beginnt, stünde noch nicht fest, sagte Resch. „Sie ist noch nicht terminiert.“ In Senatskreisen hält man es für denkbar, dass die Verhandlung im Sommer oder Herbst 2017 startet.

Auch in Berlin werde der Grenzwert für das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid an allen Verkehrsmessstellen überschritten, so die Deutsche Umwelthilfe. Das Verwaltungsgericht soll den Senat dazu verurteilen, geeignete Maßnahmen zu erreichen, damit die Vorgaben der Europäischen Union eingehalten werden.

Gefordert werden weitreichende Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in der Innenstadt. In Senatskreisen hält man es nicht für ausgeschlossen, dass auch das Verwaltungsgericht Berlin Diesel-Fahrverbote anordnen wird. „Warten wir das Gerichtsurteil ab“, sagte die Verkehrssenatorin. 

Nachrüstung kostet bis zu 1500 Euro

Wenn es dazu kommt, geht die Umwelthilfe davon aus, dass Dieselfahrzeughalter die Hersteller verklagen können – wegen „arglistiger Täuschung“ über die tatsächlichen Abgaswerte, wie Resch empfahl. „Entweder der Kaufvertrag für das Auto wird rückabgewickelt – oder der Hersteller rüstet das Fahrzeug mit moderner Filtertechnik nach, was nach unseren Berechnungen pro Auto 1000 bis 1500 Euro kosten würde“, sagte Resch. 

Senatorin Günther setzt auf Tempo 30 für alle, weil es derzeit keine Möglichkeit gebe, Diesel-Fahrverbote praktikabel zu überwachen. Der Plan, saubere Dieselautos mit einer blauen Plakette zu kennzeichnen, ist in der Schublade verschwunden. Jürgen Resch wies die Bedenken zurück: „Das ist Unsinn. Die Polizei könnte durchaus den Verkehr stichprobenartig kontrollieren“, sagte er. Das hieße: Autos anhalten und sich den Fahrzeugschein geben lassen – dort ist die Antriebsart vermerkt. 

Wie berichtet stehen fünf Abschnitte wichtiger Hauptverkehrsstraßen auf der Liste für neue Tempo-30-Bereiche.  Im Bezirk Mitte soll auf der Leipziger Straße zwischen dem Leipziger Platz und der Markgrafenstraße Tempo 30 angeordnet werden.  Auf der Potsdamer Straße ist das Teilstück  vom Schöneberger Ufer zum Kleistpark dafür vorgesehen.

Direkt im Anschluss daran soll der Verkehr auf der Hauptstraße zwischen dem Kleistpark und dem Innsbrucker Platz gebremst werden. Auf der Liste steht auch die Kantstraße zwischen Savigny- und Amtsgerichtsplatz. Geplant ist Tempo 30 zudem für ein Teilstück des Tempelhofer Damms, das von Alt-Tempelhof zur Ordensmeisterstraße verläuft. 

Wirkung von Tempo 30 ist umstritten

Dort will der Senat testen, ob der Verkehr durch Tempo 30 und andere Ampelschaltungen flüssiger gestaltet werden könnte. Weil Stickoxide vor allem bei hohen Drehzahlen (zum Beispiel beim Anfahren) entstehen, könnte eine Verstetigung des Verkehrs die Belastung senken. „Die Tests sollen in diesem Jahr auf ausgewählten Hauptverkehrsstraßen in der Innenstadt beginnen“, sagte Günther. „Wobei man sagen muss, dass Tempo 30 oft keine Verlangsamung, sondern eine Beschleunigung wäre.“ 

Allerdings ist umstritten, ob sich Tempo 30 wesentlich auf die Luftbelastung auswirkt. Eine im März 2017 veröffentlichte Untersuchung im Auftrag des ADAC auf Berliner Straßen ergab, dass das täglich ab 22 Uhr geltende Tempo 30 auf der Bornholmer/ Wisbyer Straße die Stickoxid-Emissionen um 6 bis 26 Prozent senkte. Auf der Osloer/ Bornholmer Straße, wo ab 22 Uhr weiterhin Tempo 50 erlaubt ist, nahm sie dagegen um 25 bis 77 Prozent ab. Grund sei, dass weniger Autos unterwegs waren und der Verkehr flüssiger war, so der ADAC.