Tschüss, Berlkönig! Die letzte Fahrt steht bevor. Was kommt als Nächstes?
Die BVG und ihr Partner haben einen zweistelligen Millionenbetrag in den Fahrdienst investiert. Jetzt ist vorzeitig Schluss. Wir sind noch einmal mitgefahren.

Da muss man an das große Finale eines langen, spannungsreichen Films denken. „Der Berlkönig fährt in den Sonnenuntergang“: So verabschiedet sich der Fahrdienst, den die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und Via Van angeboten haben, auf seiner Internetseite nach fast vier Jahren vorzeitig aus dieser Stadt. In der Nacht zu Donnerstag werden zum letzten Mal Buchungen für die schwarzen Limousinen mit dem gelben Herzen angenommen. Um zwei Uhr ist Schluss – für immer.
Wir haben uns noch einmal durch die östliche Innenstadt chauffieren lassen, mit einem ganz besonderen Fahrer am Steuer. Aber warum hört der Berlkönig jetzt schon auf? Und was kommt danach? Eine Bilanz – und ein Ausblick.
Es ist angenehm kühl im Berlkönig. Dem einzigen und letzten, der noch durch Berlin fährt. Das erklärt Cihangir B., der in diesem Moment auch der einzige Fahrer ist, wie er sagt. Der Wagen ist leer, als er in Kreuzberg auf der Schlesischen Straße hält, Höhe Heckmannufer. Er ist extra für die Bestellung hergekommen. Dabei ist der Berlköng als Ridepooling-Dienst konzipiert, bei dem auch noch andere Fahrgäste mit ähnlichen Zielen im Auto sitzen sollen, um eine gute Auslastung zu erzielen.
Das 9-Euro-Ticket ist der neue Konkurrent
Die Fahrt geht nach Prenzlauer Berg, ins Bötzowviertel. Eine Innenstadtroute, die man natürlich auch mit der BVG schaffen kann. Man könnte zum Beispiel mit dem Bus 265 bis zur Oberbaumbrücke fahren, rüberlaufen, an der Warschauer Straße in die Straßenbahn M10 steigen. Aber der Bus bleibt um diese Zeit oft im Stau stecken, es sind 36 Grad in Berlin, die Tasche ist schwer.
Die Tour mit dem Berlkönig kostet 8,48 Euro. Fast so viel wie das 9-Euro-Ticket – das aber den ganzen Juli in ganz Deutschland gilt. Aber es ist, wie in einem Privatbus durch die Hitze chauffiert zu werden.
Der Berlkönig war der perfekte Service für Innenstadt-Bewohner, die eigentlich mit den Öffentlichen fahren wollen, manchmal aber doch zu faul waren, um die Anstrengung zu bewältigen. Für Strecken innerhalb des östlichen Stadtzentrums, die nicht besonders weit waren, aber mit Bus und Bahn umständlich. Auch als man sich den Wagen noch mit anderen Fahrgästen teilen musste, die unterwegs zu- oder ausstiegen, war es unkompliziert, den Minibus zu nutzen.
Ein Luftzug aus der Klimaanlage kühlt die Füße, bis Prenzlauer Berg wird niemand mehr zusteigen. Es gebe auch noch keine Buchung im Anschluss an die Fahrt, sagt Cihangir B.
Guter Lohn, gute Arbeitsbedingungen, gute Bewertungen
Er erzählt, dass er vom ersten bis zum letzten Tag beim Berlkönig war, als einziger Fahrer. Seit dem Start am 7. September 2018 seien fast vier Jahre vergangen, er könne es kaum glauben. Die Arbeitsbedingungen seien gut gewesen, Lohn nach Tarif, die Kunden in 99 Prozent der Fälle angenehm, die Kundenbewertungen fast alle gut. Es gebe regelrechte Stammkunden, das zeige, dass man etwas richtig gemacht habe. „Die Menschen sind nicht nur wegen des Preises mit uns gefahren“, sagt er. Ein paar dieser Kunden werde er vielleicht noch mal sehen am letzten Tag. Wer noch ein Guthaben auf seinem Berlkönig-Konto habe, der müsse es jetzt verfahren, letzte Chance.
Der Fahrer erzählt von den Anfängen. Erst gab es den Service nur an Wochenenden, später rund um die Uhr, die Wagen waren voll. Dann, im Frühjahr 2020, kamen Corona und der erste Lockdown. Weil Restaurants und Kultureinrichtungen schlossen, sank das Fahrgastaufkommen fast auf null. Und auf gemeinschaftliche Fahrten mit anderen Menschen in kleinen Limousinen hatte in Zeiten der Pandemie plötzlich niemand mehr Lust. Vor einem halben Jahr verkündete die BVG die Einstellung des Dienstes. Die Kunden kamen nach der Pandemie nicht wieder oder blieben nun weg. Und dann sei noch das 9-Euro-Ticket gekommen, sagt Cihangir B.
Der neue BVG-Rufbus wird im dritten Quartal im Osten der Stadt starten
Seinen Job wird der Fahrer nicht verlieren, aber er wird andere Gegenden von Berlin kennenlernen, sagt er. „Umland“ nennt Cihangir B. sie, auch wenn die Gebiete noch in den Stadtgrenzen von Berlin liegen. Der neue BVG-Rufbus, so der Arbeitstitel, wird ein mehr als 60 Quadratkilometer großes Gebiet im Osten Berlins bedienen.
Rummelsburg, Friedrichsfelde, Karlshorst, Biesdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf, Oberschöneweide: Diese Stadtteile reichen ganz oder teilweise in das Bediengebiet hinein, das sich zwischen dem Ostkreuz und der Stadtgrenze erstreckt und auf dem Plan wie ein Tortenstück aussieht. Von einem Fahrbetrieb rund um die Uhr ist die Rede. Wann es losgeht, verrät die BVG noch nicht. Nur so viel kann Eva Kreienkamp, die Chefin des Landesunternehmens, sagen: „Wir sind noch in der Diskussion. Aber wir wollen im dritten Quartal 2022 starten.“
Mal sehen, sagt Cihangir B., wie es im Einsatzgebiet des neuen Rufbusses ist, er freue sich drauf. Im Zentrum mache das Fahren ja immer weniger Spaß, „überall Baustellen, Stau, Roller, so viel Verkehr“, sagt er.
Zehn Mercedes-Fahrzeuge für jeweils fünf bis sieben Fahrgäste werden unterwegs sein. Die Hälfte der Flotte soll für Fahrgäste im Rollstuhl zugänglich sein, so der Senat. Wer mitfahren will, bucht per App oder telefonisch eine Tour. Ein Ticket für den Tarifbereich B ist erforderlich, hinzu kommt ein Aufpreis – laut BVG-Chefin Kreienkamp 1,50 Euro pro Fahrt. Gezahlt wird per Kreditkarte, Lastschrift und später auch mit der BVG-Guthabenkarte. Wie beim Berlkönig wird es keinen Haus-zu-Haus-Service wie beim Taxi geben. Auch der neue Ridepooling-Dienst steuert virtuelle Haltestellen an, die nur in der App erkennbar sind, außerdem Bushaltestellen und Bahnhöfe.
BVG und Via steuerten viel Geld bei
Doch ein wichtiges Detail ist anders: die Finanzierung. Künftig kommt das Land Berlin für die Kosten auf. Eine Kalkulation geht davon aus, dass sich die Zahlungen für den Rufbus bis zum Vertragsende Ende 2025 auf bis zu knapp zehn Millionen Euro summieren werden. Das Geld bekommt die Firma Via. Sie hat die Ausschreibung der BVG gewonnen und wird den Rufbus in ihrem Auftrag betreiben.
Das amerikanisch-israelische Unternehmen spielte auch schon beim Berlkönig die entscheidende Rolle. Gemeinsam mit Daimler gründete es Via Van, das für den Betrieb zuständig war – und ihn dem Vernehmen nach auch größtenteils finanzierte. Ein Beobachter geht davon aus, dass Via Van seit 2018 eine zweistellige Millionensumme beigesteuert hat. Allein 2019 müssen es zwischen acht und zwölf Millionen Euro gewesen sein, sagt er. Aber auch die landeseigene BVG habe sich mit viel Geld beteiligt, dem Vernehmen nach ebenfalls mit einem Millionenbetrag. Sie stellt Betriebshof-Infrastruktur zur Verfügung und finanziert das Marketing sowie die Bestellplattform.
„Der Berlkönig ist nur noch ein Schatten seiner selbst“
Eigentlich hätte der Berlkönig, der 1,85 Millionen Fahrgäste befördert hat, noch bis September 2022 weiterfahren können. So lange ist die Ausnahmegenehmigung als „atypischer Linienverkehr“, die eine Landesbehörde nach der Experimentierklausel des Personenbeförderungsgesetzes erteilt hatte, gültig. „Doch der Berlkönig ist nur noch ein Schatten seiner selbst“, sagte der Insider. Die Konzession würde 185 Autos erlauben, heute ist die Zahl einstellig. „Der Berlkönig kostet einfach nur noch Geld. Jetzt wird er eingestellt – um zu sparen.“ Die Berliner Taxibranche, die den Berlkönig als subventionierte Konkurrenz empfunden hat, wird es freuen.
Cihangir B. steuert den Wagen ruhig durch das Chaos des innerstädtischen Feierabendverkehrs, nicht so hektisch wie mancher Taxifahrer. Um 20 Uhr wird er ihn an einen Kollegen übergeben für die Spätschicht, die bis zwei Uhr morgens gehen wird. An diesem Mittwoch wird B. noch einmal den Berlkönig fahren. Er war am ersten Tag dabei, er fährt am letzten, sagt er. Ehrensache.