Turnier in Lichtenberg: BVG-Team ohne Heimvorteil bei Tram-EM in Berlin
Es sind nur zwei Millimeter, die den Lokalmatadoren gleich am Anfang alle Chancen auf einen Sieg nehmen. Es ist Sonnabend kurz vor 11 Uhr: Auf dem großen BVG-Gelände an der Lichtenberger Siegfriedstraße findet in den nächsten acht Stunden nichts geringes statt als die Europameisterschaft im Straßenbahnfahren – kurz: Tram-EM.
Der Berliner Torsten Franz (47) und seine Kollegin Franka Sonntag (50) haben bei der Auslosung der Startreihenfolge die Nr. 1. gezogen und müssen den erste Durchgang als erste absolvieren. 27 Städte aus 17 Ländern haben ihre besten Teams – jeweils einen Mann und eine Frau – geschickt. Es ist die 5. EM, die vor allem einem Ziel dient: Werbung für diese Form des öffentlichen Nahverkehrs zu machen.
Kein Heimvorteil für BVG-Team
Für Laien scheint alles für das BVG-Team zu sprechen: Startplatz Nr. 1 plus Heimvorteil, und alle Teams sind gezwungen, mit Berliner Bahnen zu fahren. Doch Torsten Franz sagt: „Als erste zu starten, ist das undankbarste überhaupt, denn die anderen schauen sich ganz genau an, was wir richtig oder falsch machen.“
Es gibt sechs Disziplinen. Im ersten Teil muss Torsten Franz die Tram möglichst genau bis Tempo 20 beschleunigen – gar nicht so einfach, wenn der Tacho abgeklebt ist. Aber es klappt gut. In der zweiten Disziplin muss er so nahe wie möglich vor einem Stoppschild halten. Das Besondere: Er darf die Bremse nur ganz am Anfang ein einziges Mal betätigen und dann nichts mehr korrigieren.
Klappt auch gut. Doch in Disziplin 3 geht der erhoffte Titel flöten. Beifahrerin Franka Sonntag steigt aus, läuft ein Stück nach vorn und muss dort eine Pappfigur neben den Gleise aufstellen. Die Aufgabe dabei: Der Ellenborgen der Figur soll möglichst nah an den Gleisen sein, aber so weit weg, dass die Tram gerade noch so vorbei kommt, ohne sie zu berühren. Klingt einfach, aber Franka Sonntag darf sich beim Positionieren der Figur nicht ein einziges Mal zur Tram umdrehen, um zu schauen, ob es passen könnte.
Tram-Bowling beim Publikum beliebt
„Ich wollte am liebsten gar nicht erst losfahren“, sagt Torsten Franz nach dem Lauf. „Ich war mir sicher, dass der Dummy viel zu nahe am Gleis steht und ich ihn umfahren. Aber es ist ein Wettkampf, ich musste fahren.“ Und Franka Sonntag hatte fast alles richtig gemacht. Denn die Figur fällt nicht um, aber sie steht zwei Millimeter zu nahe. Die Bahn berührt den Ellenbogen der Figur ganz leicht. Das kostet wertvolle Punkte. „Es wird so sein, wie immer“, sagt Franka Sonntag. „Die Heim-Mannschaft hat noch nie den Titel gewonnen.“
Bei jedem neuen Lauf beobachten die Fahrer, die noch starten müssen, ganz genau, wo die anderen ihre Figur positionieren. Das Publikum schaut viel lieber bei der Disziplin Tram-Bowling zu: Die Bahn muss gegen einen großen Ball fahren, der dann möglichst viele Kegel umwerfen soll. „Auch wenn es absurd klingt: Das ist ganz schwer für uns und kostet große Überwindung“, sagt Torsten Franz. „Es ist nun mal gegen die Natur eines Straßenbahnfahrers, gegen etwas zu fahren. Wir wollen immer vor jeder Kollision bremsen.“
Die Stimmung ist prächtig, selbst als der Ball des Prager Teams über die Kegel fliegt. Das Ganze entwickelt sich zum Volksfest. Wer sich im Vorfeld gefragt hat, ob sich wirklich viele Leute für eine Tram-EM interessieren, wird überrascht: Immerhin mehr als 18.000 Besucher pilgern zum Spektakel. Alles ist perfekt organisiert – auch als zwischen den Imbissständen ein Mann zusammenbricht, ist der Notarzt sofort da und kann ihn reanimieren.
Im zweiten Durchgang fährt dann Franka Sonntag, und Torsten Franz hat bei den anderen Teams sehr genau hingeschaut: Nun steht der Dummy sehr gut. Am Ende siegt das Team Budapest mit 3 270 Punkten, die Berliner schaffen es mit 2 370 Punkten auf Platz 11.
Platz 4 belegen die Starter mit den klangvollsten Namen: Candida R. Suárez Cairós und Pedro M. Herrera Francisco aus Teneriffa. Sie sagt: „Wir sind zum ersten Mal in Berlin, und das Tram-Netz ist buenisimo. Wir haben nur zwei Linien mit 16 Kilometern. Hier sind es mehr als 20 Linien und 800 Kilometer.“ Pedro erzählt, dass er sich zu Hause in einem Wettkampf gegen 80 Fahrer durchgesetzt hat. „Die EM hier ist perfekt. Aber bei der EM nächstes Jahr bei uns in Teneriffa werden wir das auch super hinbekommen.“