Überraschung auf dem Spielplatz

Mit einer naiven Frage löst unser Autor unter Eltern eine Debatte aus, wer denn alles bei den Wahlen nicht mitmachen darf. Es sind mehr, als gedacht.

Der Berliner Schriftsteller Wladimir Kaminer&nbsp;darf wählen, da er im Juni 1990 in der DDR humanitäres Asyl bekam. Er erhielt die DDR-Staatsbürgerschaft noch vor der deutschen Einheit und wurde so auch bundesdeutscher Staatsangehöriger. <br>
Der Berliner Schriftsteller Wladimir Kaminer darf wählen, da er im Juni 1990 in der DDR humanitäres Asyl bekam. Er erhielt die DDR-Staatsbürgerschaft noch vor der deutschen Einheit und wurde so auch bundesdeutscher Staatsangehöriger.
Jan Kopetzky

Berlin-Manchmal ist die eigene Dummheit wirklich erschütternd. Die Kinder hatten sich zum Tischtennis auf dem Spielplatz verabredet, oft sitzen dort auch Eltern auf den Bänken am Rand. Wir redeten über alltägliche Dinge – und wie es so ist in diesen Tagen, waren wir recht schnell bei den Wahlen.

Erst ging es um den Absturz von Laschet und Baerbock, dann zeigten sich alle überrascht, dass der blasse Herr Scholz nun vielleicht das schafft, was Martin Schulz vor vier Jahren mit seinem „Schulz-Zug“ nicht geschafft hat.

Ganz naiv fragte ich einen Vater: „Weißt du schon, wen du wählst?“ Igor schaute mich verwirrt an: „Ich darf doch gar nicht wählen“, sagt er. „Ich bin russischer Staatsbürger.“ Er erzählte, dass er nun seit 18 Jahren in Berlin lebt, dass er zum Germanistik-Studium kam, dass er seit 15 Jahren mit einer Deutschen verheiratet ist, dass sie deutsche Kinder haben, dass er seit Studientagen hier arbeitet, Steuern zahlt und Krankenversicherung. „Alles wie bei euch, nur wählen darf ich nicht. In dem Punkt bin ich nicht gleichberechtigt“, sagte er.

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Ich entschuldigte mich wegen meiner Dummheit, kam aber schnell auf die Idee, dass vielleicht gar nicht ich dumm bin, sondern die Regelung. Und die wird auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums unschlagbar kompliziert erklärt: „Das Wahlrecht, mit dem das Volk die ihm zukommende Staatsgewalt ausübt, setzt nach der Konzeption des Grundgesetzes die Eigenschaft als Deutscher voraus.“ Das gilt übrigens auch für Frauen.

Ausländer dürfen also nicht wählen, aber immerhin ist es EU-Bürgern seit 1992 auf kommunaler Ebene erlaubt. Wir überlegten, wen es betrifft: Der freundliche holländische Vater, mit dem wir jeden Tag vor der Schule reden, darf also ein wenig wählen. Einer Mutter fällt die Türkin ein, bei der sie jeden Tag ihren Kaffee holt. Die darf gar nicht wählen. Die Eltern beim Italiener dürfen ein wenig, die Mutter des Vietnamesen ganz sicher nicht.

Es ist schon eigentümlich, dass die Wahlplakate, die an jeder Laterne hängen, keine Relevanz haben für die meisten Leute, bei denen wir uns im Kiez bekochen oder bewirten lassen.

Auf dem Spielplatz redeten wir noch eine Weile darüber, dass die meisten von uns noch nicht wissen, wen sie wählen wollen. Da sagt Igor: „Also, ich wüsste, wen ich wählen würde, wenn ich dürfte.“