Um 1900 war die Friedrichstraße der wildeste Ort Berlins - Zentrum von Verkehr, Handel, Wandel - und Prostitution

Am 2. Dezember 1899, als dieses Foto entstand, war die Friedrichstraße der wildeste Ort Berlins. Kaffeehäuser, Nachtbars, Restaurants, bunte Leuchtreklamen, Liebesmädchen lockten Abenteuer-suchende Provinzler und aus den Mietskasernen der Arbeiterviertel Geflüchtete auf der Suche nach dem großen und kleinen Vergnügen.

Straßenstrich statt Prachtmeile

Zu dieser Zeit war die Friedrichstraße auch ein Handelsplatz für Edelsteine und Gold sowie ein wahrer Sündenpfuhl – das Zentrum der Prostitution.

1870/71 hatte der  große Bauboom an der alten Straße begonnen –  vier- und fünfstöckige Wohnhäuser ersetzten die zwei- bis dreigeschossigen Reihenhäuser der frühen Dorotheenstadt.

Die Hauptstraße des nach der zweiten Frau von Kurfürst Friedrich Wilhelm (der Große Kurfürst) benannten Viertels entstand als Vorstadt auf der grünen Wiese, die Häuser verfügten über Höfe mit Ställen für Nutzvieh. Die Straße selber trägt Friedrich I., seit 1701 erster Preußenkönig, im Namen.

Mit der halbländlichen Idylle war es längst vorbei, als 1882  Kaiser Wilhelm I. den Bahnhof Friedrichstraße eröffnete und die Gegend zum Ziel- und Transitort für Reisende aus ganz Europa machte. Nach deren Bedürfnissen entstanden Hotels aller Kategorien.

Eine Verkehrszählung von 1892 ergab, dass 18.071 Wagen (Pferdegespanne aller Größen und Arten, aber auch schon motorisierte Omnibusse und Pkw) und 117.000 Passanten in 16 Stunden an der hier gezeigten Stelle vorbeikamen - in jüngerer Zeit wurden dort in 16 Stunden nur 80.000 Passanten gezählt.

Wie eng die Straße an der Bahnbrücke war! Und es sieht fast so aus, als müssten die Herrschaften im offenen Oberdeck der Omnibusse die Köpfe einziehen bei Unterqueren der Brücke.

Der Philosoph Martin Heidegger, der 1918 mit seiner Frau Berlin besuchte, schrieb recht angewidert  über die Friedrichstraße: „Eine solche Luft künstlich hochgezüchteter, gemeinster u. raffiniertester Sexualität hätte ich nicht für möglich gehalten, ich verstehe aber jetzt Berlin schon besser – der Charakter der Friedrichstraße hat auf die ganze Stadt abgefärbt. Die Menschen hier haben die Seele verloren.“

Schaut man sich Bilder an, die die heutige Friedrichstraße an jenem einst lebensprallen Punkt von 1899 zeigen, muss man sagen: Von Seele kann dort keine Rede sein.

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