Unfälle mit Rechtsabbiegern: Diese Sicherheitsmaßnahmen braucht Berlin dringend

Nach den tödlichen Rechtsabbiege-Unfällen mit Lastwagen und Radfahrern wächst der Druck, den Lkw-Verkehr sicherer zu machen. „Es sollten schnellstmöglich von der Bundesregierung Assistenzsysteme verpflichtend vorgeschrieben werden, mit denen der Fahrer die toten Winkel überwachen kann“, sagte Stefan Thyroke, der bei der Gewerkschaft Verdi die bundesweite Fachgruppe Speditionen, Logistik, Kurier-, Express- und Paketdienste leitet, der Berliner Zeitung. Thyroke forderte auch, die Belastung der Lastwagenfahrer zu verringern. Stress sei ein Faktor, wenn sich Unfälle mit Lastwagen ereignen.

Von den 107 Radfahrern, die in den vergangenen zehn Jahren in Berlin tödlich verunglückten, kamen 34 durch abbiegende Lastwagen ums Leben. Im vergangenen Jahr waren es vier von neun Verunglückten. Das geht aus einer Auswertung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Berlin hervor.

Der Druck nimmt zu

Der jüngste tödliche Unfall dieser Art in Berlin ereignete sich Dienstagmorgen auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz in Schöneberg. Ein dreiachsiger Lkw, der rechts in die Hauptstraße abbiegen sollte, überrollte eine 52 Jahre alte Radfahrerin. Am Mittwoch starb ein zehnjähriges Mädchen bei einem ähnlichen Unglück in Brandenburg an der Havel. Nun wird verstärkt diskutiert, wie solchen Verkehrsunfällen vorgebeugt werden könnte.

Dabei gerät auch die Belastung der Kraftfahrer ins Blickfeld. „Der Arbeitsdruck nimmt ständig zu. Sie sind Teil des Just-in-time-Systems, bei dem die Fracht pünktlich beim Empfänger sein muss“, sagte Stefan Thyroke von Verdi. „Wird das meist sehr kleine vereinbarte Zeitfenster nicht eingehalten, muss die Spedition eine Vertragsstrafe zahlen.“ Das wissen auch die Fahrer – was den Druck erhöht.

In Bremen wollte ein Spediteur eine solche Vertragsstrafe einem Fahrer aufbrummen, sagte Thyroke. „Das konnte mit unserer Hilfe verhindert werden – zeigt aber deutlich die Verhältnisse im Transportgewerbe.“

An die Vorschriften hält sich kaum einer

In vielen Firmen existierten gesetzlich vorgeschriebene Erholungspausen nur auf dem Papier. „In der Praxis müssen die Fahrer die dreiviertelstündige Pause oft nutzen, um an der Rampe auf Entladung zu warten oder Maut-Tickets zu besorgen.“ Fahrer, die zunächst über viele Stunden Langstrecken hinter sich bringen, um dann ihre Ladung im Stadtverkehr zu verteilen, seien oft nicht topfit, weil sie in den Fahrerkabinen übernachten.

Zwar sei dies für die sogenannte Wochenruhezeit seit Mai 2017 verboten, die Fahrer müssen laut Gesetz extern nächtigen, sagt Thyroke. „Doch ein Blick auf Lkw-Parkplätze am Wochenende zeigt, dass sich daran kaum einer hält.“ Es gebe auch viele Speditionen, die nicht nach Tarif zahlen – obwohl der relativ bescheiden sei. Für den Stress auf der Autobahn, beim Be- und Entladen und dem noch stressigeren Stadtverkehr sieht die Lohntabelle pro Monat rund 2700 Euro brutto vor.

Um die Zahl der Lkw-Unfälle mit Radfahrern zu senken, seien nicht nur Assistenzsysteme wichtig. Der Verdi-Mann forderte auch, Straßen umzugestalten. „Es ist gut, Radfahrer vom Radweg auf dem Bürgersteig auf die Straße zu holen, wo sie sichtbarer sind.“ Allerdings: „Wir werden die Zahl der tödlichen Unfälle mit Radfahrern nicht auf null bringen können.“

Die Stadt Osnabrück erwägt nach mehreren schweren Unfällen, Lkw auf dem stark befahrenen Wallring das Rechtsabbiegen zu verbieten. Auch die Bundesregierung will aktiv werden. Allerdings sei dies nur auf europäischer Ebene möglich, hieß es. Aus der Sicht von Unfallforschern stellen Assistenzsysteme ein gutes und zuverlässiges Mittel zur Unfallverhütung dar.

Kritik an Berlins Verwaltung

Doch auch in der Hauptstadt-Region gibt es nur wenige Lastwagen mit Abbiegeassistenten, die in der Fahrerkabine davor warnen, wenn jemand dem Lkw nahe kommt. Dabei sorge diese Technik wirklich für mehr Sicherheit, weil sie die Fahrer wirksam entlaste, sagte der Spediteur Michael Sünkler der Berliner Zeitung. Der Transportunternehmer, der 30 Menschen beschäftigt, hat zwei Lastwagen mit solchen Assistenzsystemen.

Sünkler sprach sich dafür aus, mehr breite Radfahrstreifen auf den Straßen zu markieren. Hilfreich seien zudem farbige Markierungen, wie sie am Kaiser-Wilhelm-Platz geplant sind. Die Verkehrserziehung sollte verbessert werden. „Sie beginnt meist viel zu früh“, meinte Sünkler. „Wichtiger wäre sie in den achten und neunten Klassen, wenn Schüler schon im Straßenverkehr unterwegs sind.“

Heinrich Strößenreuther von der Agentur Clevere Städte kritisierte erneut die Verwaltung in Berlin. Das Geld, das 2017 für neue Radverkehrsanlagen vorgesehen war, sei nicht vollständig ausgegeben worden. Die roten Markierungen am Kaiser-Wilhelm-Platz sollen erst im Frühjahr aufgebracht werden – dabei wäre das auch bereits im Winter möglich.