Unter den Linden: Stadtplaner warnen davor, die Straße autofrei zu machen
Das Ziel ist klar: Autos ’raus! Auf der Straße Unter den Linden sollen künftig nur noch Fußgänger, Fahrräder und Busse unterwegs sein. So steht es im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün. Doch der Senat lässt offen, ob er dort tatsächlich den motorisierten Individualverkehr unterbinden wird. Er könne jetzt noch nicht sagen, ob sich die Straße dafür eignet, sagte Verkehrs-Staatssekretär Jens-Holger Kirchner während einer Diskussion beim Verein Architekturpreis Berlin. „Wir wissen es noch nicht“, so der Grünen-Politiker. Eine Machbarkeitsstudie, die der Senat im zweiten Halbjahr 2017 in Auftrag gibt, soll die Entscheidung vorbereiten.
Unter den Linden autofrei – das soll der Welt zeigen, wie ernst Berlin die Verkehrswende meint. Paris hat ein Seine-Ufer gesperrt, in New York ist der Times Square Fußgängerzone. Die deutsche Hauptstadt müsste einen ähnlichen Paukenschlag hinbekommen – so sehen es Teile der Grünen-Basis.
Doch für die Akteure im Senat scheint die Forderung, den 61 Meter breiten Boulevard in der historischen Mitte von Privatautos zu befreien, kein Herzensthema zu sein. Zwar kündigte der Staatssekretär an: „Wir werden uns dem Auftrag widmen“, es werde Workshops und öffentliche Debatten geben. Offiziell ließ er alles offen. Die Argumente, die er danach anführte, sprechen aber gegen eine massive Verkehrsberuhigung. So gab Kirchner zu bedenken, dass der Verkehr in Berlin stärker zunehme als vorhergesagt. „In den vergangenen fünf Jahren sind die Verkehrsströme explodiert“, sagte der Politiker.
Die geplante Studie werde nicht nur die aktuellen Verkehrsdaten und Prognosen berücksichtigen. Sie müsse sich auch damit befassen, wie sich eine Sperrung der Straße Unter den Linden auf die Umgebung auswirken würde. Er sei nicht der Auffassung, dass das regionale Straßennetz ausreichend leistungsfähig ist, so Kirchner. Er verwies auch darauf, dass die Leipziger Straße in Zukunft weniger leistungsfähig sein wird: Dort sei eine Straßenbahnstrecke geplant, sagte er.
Testfeld für die Verkehrswende?
Grundsätzliche Fragen seien ohnehin bisher „nur bedingt beantwortet“, so Kirchner. „Was will die Stadtgesellschaft von dieser Straße? Welche Funktion soll sie haben?“ Es sind Fragen, die auch andere Teilnehmer der Diskussion bewegten. Eignet sich der Boulevard wirklich als Testfeld für die Verkehrswende?
Wenn es darum ginge, Anwohner vor Abgasen zu schützen, wären die Linden die falsche Adresse, sagte Thomas Sánchez von der Interessengemeinschaft Leipziger Straße. „An unserer Straße wohnen 10.000 Menschen. Dort müsste ein Fahrverbot verhängt werden.“
Von einer Verkehrsberuhigung der Linden würden die Berliner nicht profitieren, denn sie seien dort kaum anzutreffen, lautete ein anderes Argument. Der Boulevard sei heute vor allem eine Straße für Touristen. Wie es dort zugehen wird, wenn diese Straße „stillgelegt“ worden ist, könne auf dem Pariser Platz betrachtet werden, so der Stadtplaner Hildebrand Machleidt.
Dort werde für Touristen ein „Stadtkitsch“ inszeniert, den er abstoßend finde. „Dieser Stadtkitsch würde flächendeckend verteilt“, sagte der Berliner. „Das Disneyland vom Pariser Platz bis zum Forum Friedericianum durchzuziehen wäre eine Katastrophe – und in einem Maße provinziell, wie wir es uns nicht annähernd ausmalen können.“
„Um die Berliner geht es nicht“
Die Straße würde zu einer Veranstaltungsfläche, befürchtete Guido Herrmann vom Verein Die Mitte, der rund 170 Firmen und Institutionen in diesem Bereich vertritt. „Für wen machen wir das alles? Um die Berliner geht es nicht.“ Stattdessen werden sie in Ost-West-Richtung im Stau stehen. „Ich bin entschieden dafür, den Kfz-Verkehr zu reduzieren, trotzdem müssen wir mit ihm umgehen. Sonst landet er in Stadträumen, in denen wir ihn nicht haben wollen“, sagte Friedemann Kunst, der bis 2013 die Abteilung Verkehr in der Senatsverwaltung leitete.
„Hier wird ein Feuer geschürt, das wir nicht brauchen“
Die Diskussion um die Sperrung der Linden sei überflüssig, meinte Jörg Becker vom Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC). „Hier wird ein Feuer geschürt, das wir nicht brauchen.“ Auf den Linden habe immer Verkehr stattgefunden, sagte er. „Lasst die Straße so, wie sie ist!“ Doch das stieß nun doch auf Widerspruch. Eva-Maria Scheel vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), die als einzige in der Runde die Forderung im Koalitionsvertrag unterstützte, forderte eine breite Radlertrasse auf einer Seite.
Bernd Wilde vom Fachverband Fußverkehr (FUSS) sprach sich dafür aus, die Linden zu einer Flaniermeile zu gestalten – das Konzept des Verbands sieht breitere Gehwegen und eine attraktivere Mittelpromenade vor.
Doch sogar der Vertreter der Fußgängerlobby hat nichts dagegen, dass weiterhin Autos über den Boulevard fahren. Ein Fahrstreifen pro Richtung reiche aus, um den Verkehr staufrei abzuwickeln, abschnittsweise soll Tempo 20 gelten. Aber autofrei? Nein. „Von einer Fußgängerzone haben wir nie gesprochen.“