Berliner Gastwirt: „Unterricht in Kneipen ist Unsinn“

Das sagt Norbert Raeder zum Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers. Dabei wurde sein Lokal in Reinickendorf schon vor Jahren einmal als Schule genutzt.

Wirt Norbert Raeder in seinem Lokal „Kastanienwäldchen“, das schon einmal eine Schule war.
Wirt Norbert Raeder in seinem Lokal „Kastanienwäldchen“, das schon einmal eine Schule war.BLZ/Sabine Gudath

Berlin-Kneipen als Schule – eine ungewöhnliche Idee, die da von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kommt. „Ungenutzte Räume von Gaststätten und Hotels“ könnte man in der Corona-Krise als alternative Klassenräume nutzen, riet er in der „Bild am Sonntag“. Denn Schulen hätten derzeit Probleme, in vollen Klassenzimmern für den nötigen Abstand zwischen den Schülern zu sorgen. 

„Es ist ein Unding, wegen Corona die Kneipen zu schließen und nun als Schule wieder zu öffnen“, sagt der Berliner Wirt Norbert Raeder im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Dabei hatte der einstige Politiker der Grauen Panther in seiner Reinickendorfer Gaststätte „Kastanienwäldchen“ schon einmal Schüler unterrichten lassen.

„Das war 2005 als Protestaktion“, sagt er. „Ständig fiel der Unterricht wegen Lehrermangels in einer benachbarten Schule aus. Also unterrichtete bei mir eine Nachhilfelehrerin Mathe und Erdkunde einen Tag lang mit 25 Kindern.“ Die Umwandlung der Kneipe zur Schule ging recht gut. „Es wurden eine Leinwand als Tafel und Unterrichtsmaterialien herbeigeschafft. Aus den Regalen an der Theke verschwand der Alkohol, die Zigarettenautomaten wurden abgehängt.“

Wegen Corona ist Raeders Lokal seit Monaten zu. Er nutzt es als Kleiderkammer für Obdachlose. Vor der Tür verkauft er Eis und Crepés. „Natürlich würde ich jetzt bei mir Kinder wieder unterrichten lassen“, sagt er. Sicher könnten dies auch andere Wirte. Vor allem, weil keiner weiß, wie lange Gastrobetriebe noch zubleiben müssen. Da wäre Unterricht in Lokalen eine gute Einnahmequelle, so Raeder.

„Doch bevor man über Geld redet, sollte klar sein, dass Altmaiers Idee unsinnig ist. Die Schüler haben mehrere Fächer am Tag, werden doch nicht fünf Stunden oder mehr nur in Mathe unterrichtet. Man müsste also das Lokal ständig in neue Fachräume, etwa für Chemie oder Physik, umbauen. Das geht gar nicht.“ Besser wären  leer stehende Säle in den Rathäusern. „Diese kann man vielleicht eher als Mini-Schule nutzen.“

Aber auch das sei nur eine Notlösung, sagt Raeder. „Der Grund, dass Schulen kaum genügend Räume haben, in denen man unter Corona-Bedingungen lehren kann, liegt an den baulichen Zuständen“, sagt er. „Ich weiß von Schulen, wo Fenster während des notwendigen Lüftens nicht richtig geöffnet oder geschlossen werden können oder die Heizungen versagen. Mängel, die man schon im ersten Lockdown hätte beseitigen können, als die Schüler im Homeoffice waren. Dass dies offenbar nicht geschah, ist ein Versagen der Politik. Und der Vorschlag, Kinder in Lokalen unterrichten zu lassen, ein Armutszeugnis des Ministers“, sagt Raeder und ergänzt: „Eigentlich müsste er wegen dieser Idee zurücktreten.“