Unterwegs in Marzahn-Hellersdorf: Räumt die CDU hier wieder ab?
Am östlichen Stadtrand haben die Menschen andere Sorgen als in der Innenstadt. Auch der Wahlkampf läuft hier anders. Was sind die Probleme und Wünsche der Wähler?

Man hört es schon von Weitem auf der betonierten Straße: das Wahlplakat, das an der Marzahner Promenade laut gegen die Laternenmaste klappert. Knapp eine Woche vor der Wiederholung von Berlins Pannenwahl von 2021 fällt Regen vom grauen Himmel, ein kalter Wind braust zwischen den Plattenbauten hindurch. Die Straße ist fast komplett leer, kein Wahlkämpfer in Sicht.
Vom Plakat, das sich im Wind wiegt, lächelt das Gesicht von Iris Spranger, Berlins Innensenatorin und Kandidatin der SPD in diesem Wahlkreis, Marzahn 2, für das Abgeordnetenhaus. Sie lächelt, als wolle sie Zuversicht anbieten, zu einem freundlichen Gespräch einladen – aber an so einem Tag scheint Politik kein Thema zu sein, für das man sich leicht begeistern kann. Dabei sind die größten Themen der Wahl gerade in diesem Bezirk stark zu spüren.
Lange konnte sich hier die Linke am besten politisch durchsetzen, bei der letzten Wahl haben die Marzahner und Hellersdorfer allerdings einen anderen Weg eingeschlagen und sich stärker der CDU zugewandt. 2021 wurde hier der CDU-Vorsitzende Mario Czaja direkt in den Bundestag gewählt, die AfD wurde bei den Zweitstimmen zur zweitstärksten Partei.
Marzahn-Hellersdorf ist seit 50 Jahren der Vorzeigebezirk für Bauen in Berlin. Jetzt stehen auf den Wahlplakaten jeder Partei Slogans zum Thema Wohnen und Bauen. Die CDU wirbt für „Schulen und Kitas, statt immer nur neue Wohnungen“; „Bezahlbare Miete, Volksentscheid umsetzen“, verspricht die Linke. Durch die Glasfassade des FDP-Kreisstabs sind Tragetaschen mit dem Schriftzug „Baut auf diese Stadt“ zu sehen.
Das Büro liegt an der Marzahner Promenade – der Fußgängerstraße, die vom Einkaufszentrum Eastgate bis zum Freizeitforum läuft und die so etwas wie das Herz der Großwohnsiedlung Marzahn seit Anfang der 1970er-Jahre ist. Blickt man um sich um, sieht man außer einer Reihe Bäume nur Hochhäuser und kleine Geschäfte oder Büros von lokalen Sozialinitiativen.
„In Marzahn droht die Verdichtung“
In einer der kleinen Betoneinheiten des Promenadenkomplexes versammelt sich eine Gruppe von Frauen. Der Raum gehört dem Frauentreff HellMa, freitagnachmittags findet hier sein wöchentliches Sprachcafé statt. Hier versammeln sich vor allem Frauen aus russischsprachigen Ländern, um ihr Deutsch zu verbessern – anhand von Liedern, ein paar Grammatikübungen und auch ganz normalen Gesprächen. Viele der Teilnehmerinnen sind geflüchtete Ukrainerinnen, andere wohnen aber schon seit mehreren Jahren in Deutschland. Nur eine Minderheit ist wahlberechtigt, so Ingrid Galeski. Die 80-Jährige ist eine der Leiterinnen des Treffens.
Dass es in ganz Berlin einen starken Bedarf an Wohnraum gibt, bestreitet Galeski nicht – sie findet aber, es werde trotzdem gerade zu viel in diesem Bezirk gebaut. „Hingegen wird im Westen gar nicht gebaut“, behauptet sie. Es gebe dort genug Brachen oder leer stehende Gebäude, die wiederaufgebaut werden müssten, sagt sie, bevor man noch ein großes Bauprojekt im Osten Berlins angehe. Ansonsten fürchtet sie eine Verdichtung im Bezirk, der mehr zu bieten hat als Plattenbauten: „Marzahn-Hellersdorf ist einer der grünsten Bezirke Berlins“, sagt sie. „Es wäre kontraproduktiv, das zu ändern.“
Doch mehrere große Bauprojekte sind aktuell für Marzahn geplant. Gerade am Donnerstag letzter Woche wurde der Grundstein gelegt für ein neues Wohnquartier an der Allee der Kosmonauten mit etwa 1000 Wohnungen, wovon die Hälfte in den Bestand der landeseigenen Gesellschaft Gewobag übergehen soll.

Ingrid Galeski bleibt überzeugte Linke-Wählerin und findet, die Partei habe ganz gute Arbeit als Teil der Senatskoalition geleistet; vor allem ihr Wahlversprechen, den Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienkonzerne umzusetzen, ist ihr wichtig. Harte Worte hat sie für Mario Czaja: „Die ganze Zeit vor der Wahl 2021 hat er die Genossenschaften verunsichert, indem er ständig erzählt hat, sie würden auch enteignet“, so Galeski. „Das stimmt überhaupt nicht – aber genau damit hat er hier die Wahl gewonnen.“ Wie erklärt sie sich den Erfolg der CDU in den Umfragen? „Sie versprechen Dinge, die sie einfach nicht einhalten können.“
Galeski ärgert aber vor allem, dass diese Wahl überhaupt wieder stattfinden muss: In ihrem Wahllokal lief 2021 alles reibungslos, meint sie, und eine genaue Wiederholung dieser Wahl könne man sowieso nicht herbeiführen. Sie ist wohl nicht die Einzige hier, die den Sinn der Wiederholung hinterfragt. „Es gibt kein Gesetz, das verbietet, sich lächerlich zu machen“, steht auf einem Zettel, der auf ein CDU-Wahlplakat geklebt wurde.
Laut einer Umfrage der ARD vom 2. Februar waren zu diesem Zeitpunkt noch 26 Prozent der Berliner Wähler unentschlossen – genauso viele, wie ankündigten, am Sonntag die CDU wählen zu wollen.
„Die Grünen machen keine Politik mehr, die ein normaler Mensch versteht“
Zu den Unentschlossenen gehört der junge Vater Robert Baum*. Der 35-Jährige sitzt auf einem Kinderspielplatz im Einkaufszentrum Eastgate, neben ihm spielt sein zweijähriger Sohn. Gefragt, was für ihn das größte Thema dieses Wahlkampfs sei, antwortet Baum zögerlich, aber dann ähnlich wie Ingrid Galeski: Er verstehe nicht, warum die Wahl nicht nur dort wiederholt wird, wo es Probleme gegeben hat, eine komplette Wiederholung sei sicher nicht der verantwortungsvollste Umgang mit öffentlichen Geldern.
Danach kommt er auf das Thema Schulen zu sprechen. Je mehr gebaut werde, desto mehr stelle sich die Frage, ob es auch genug Schul- und Kitaplätze geben wird. Im Sommer wird Baum zum zweiten Mal Vater. Er fragt sich, welche Schwierigkeiten seine Frau und er zu bewältigen haben werden, wenn sie ihre Kinder einschulen müssen. Aktuell fehlen ungefähr 2000 Schulplätze in Marzahn-Hellersdorf. „Wir wohnen in diesem Bezirk wirklich sehr gerne, aber es verunsichert einen schon, wenn über den nächsten Jahren für unsere Familie so ein großes Fragezeichen steht“, sagt Baum.
Im Wahlkampfmaterial der CDU gibt es viele Versprechen zu neuen Schulen und Kitas. Das habe ihn angesprochen, sagt der Vater. Er wisse aber auch, dass die Versprechen von einer Partei kommen, die seit 2016 nicht in Berlin regiert hat. „Die letzten drei Jahre waren sicher keine Zeit zum Regieren“, sagt er. Und trotzdem sehe man im Bezirk die Anfänge der „Schulbauoffensive“ des Senats.
Im Prinzip hätte Robert Baum nichts gegen eine weitere Koalition aus SPD und Linken – sein einziger Wunsch ist es, dass die Grünen nicht mehr dabei sind. Er fahre mit seinem Auto „überall hin“, mit Konzepten wie der Abschaffung kostenloser Parkplätze in der Berliner Innenstadt kann er nichts anfangen. „Das ist keine Politik mehr, die ein normaler Mensch versteht“, sagt er. „Von einer solchen realitätsfernen Politik werden die am Rand den größten Gewinn haben.“ Er meint die AfD.
2021 wurden zwei AfD-Abgeordnete – Gunnar Lindemann und Spitzenkandidatin Jeannette Auricht – in Marzahn-Hellersdorf direkt ins Abgeordnetenhaus gewählt. Momentan sind viele AfD-Plakate an der Marzahner Promenade zu finden, gefühlt an jeder zweiten Laterne.
Auch der Krieg in der Ukraine wird thematisiert, und zwar nicht nur von der AfD („Bezahlbare Energie statt teurer Ideologie“). Auch die SGP wirbt um Stimmen für „Frieden mit Russland“. Seit den frühen 1990er-Jahren gilt Marzahn-Hellersdorf als ein Zentrum der Russlanddeutschen – die dem Klischee nach typischerweise russische Staatsmedien schauen, Wladimir Putin unterstützen und eine Kernwählerschaft für die AfD darstellen. Ein prorussischer Autokorso kurz nach Kriegsbeginn fuhr von Marzahn-Hellersdorf aus durch Berlin.

Ingrid Galeski gibt zu, im Frauentreff HellMa komme es manchmal zu „schwierigen Gesprächen“ in der Gruppe. Die Ukrainerin Viktoria aus Dnipro wohnt aber seit neun Monaten in Marzahn – und sagt, sie fühle sich hier sehr willkommen. Sie empfinde keine „Aggressivität“ in ihrer Nachbarschaft. Ihr zwölfjähriger Sohn besucht eine Willkommensklasse in der Nähe der Marzahner Promenade, auch da hat sie nichts zu klagen. „Seine Lehrerin ist ganz geduldig und nett“, sagt sie. „Ich interessiere mich für die deutsche Politik, auch wenn ich nicht wählen kann.“ Und obwohl sie findet, Deutschlands politische Probleme seien verhältnismäßig klein.
Auch bundespolitische Themen beeinflussen die Wahlabsichten
Eine Verkäuferin in einem Kleidungsladen im Einkaufszentrum Eastgate, gefragt, ob sie zufrieden mit der bisherigen Arbeit der rot-grün-roten Koalition sei, verneint die Frage schnell. Ihre Gründe: „Seit es diesen Krieg gibt, läuft alles schief – Waffen zu liefern, finde ich völlig falsch. Auch in der Pandemie wurde alles verscherbelt, alles wurde falsch gemacht.“ Ihr erster Wunsch für die Wahlwiederholung ist, „dass es gut geht“.
Sie stellt sich als Martina vor, ihren Nachnamen will sie nicht veröffentlicht sehen, sie ist 60 Jahre alt.
Es würden gerade zu viele Flüchtlingsheime im Bezirk gebaut, sagt sie. Seit 2016 sind fünf modulare Unterkünfte für Geflüchtete in Marzahn-Hellersdorf eröffnet worden. Nach Angaben des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten hat dieser Bezirk in der Tat einen der höchsten Anteile von Geflüchteten in Berlin aufgenommen: 13,7 Prozent.
Martina will nicht sagen, für welche Partei sie am Sonntag stimmen wird. Aber sie sagt, sie verstehe den offensichtlich stadtweiten Anstieg des Zuspruchs für die CDU nicht. Schließlich inspiriere die Partei sie auch auf Bundesebene nicht. Den Bauboom in dem Bezirk, in dem sie seit 1982 lebt, kann sie aber gut verstehen. „Wohnen kann man hier gut“, sagt sie. „Auch wenn es früher besser war.“ Sie erzählt von „randalierenden Jugendlichen“ und Schlägereien im Eastgate, ohne eine große Polizeipräsenz fühle sie sich da nachts oft nicht sicher. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, woanders in Berlin zu wohnen.“
*Name von der Redaktion geändert