Unwirtschaftlich: Die geplante S-Bahn nach Rangsdorf rechnet sich nicht
Brandenburgs Ministerpräsident Woidke und Bürger wünschen sich eine Verlängerung der Linie S2 südlich von Berlin. Doch das Projekt droht zu scheitern.

Es war eine Ankündigung, für die Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke viel Beifall bekam. Die Strecke der S-Bahn-Linie S2, die südlich von Berlin derzeit noch in Blankenfelde endet, soll bis Dahlewitz und Rangsdorf verlängert werden. Mit dieser Ankündigung sorgte der SPD-Politiker im Turbinenwerk von Rolls Royce in Dahlewitz vor rund vier Jahren für gute Stimmung. Auch viele Bürger freuten sich. Kurz darauf begannen die ersten Vorbereitungen. Doch nach Informationen der Berliner Zeitung hat sich die erforderliche Wirtschaftlichkeitsuntersuchung als Hürde erwiesen, denn sie ist negativ ausgefallen. Wird sie das Rangsdorfer S-Bahn-Projekt zu Fall bringen?
Es geht um die Nutzen-Kosten-Untersuchung, bei der die erwarteten Aufwendungen den erwarteten Vorteilen gegenübergestellt werden. Standardisierte Bewertungen dieser Art sind haushaltsrechtlich vorgeschrieben, zum Beispiel wenn Investitionen in die Infrastruktur anstehen, die größtenteils vom Bund bezahlt werden sollen. Damit ein Projekt weitergehen kann, muss der Nutzen-Kosten-Quotient den Wert 1 überschreiten. Das bedeutet, dass der Nutzen größer wäre als die Kosten.
„Förderfähigkeit nicht gegeben"
Doch im Fall der S-Bahn nach Rangsdorf ist es nach Informationen der Berliner Zeitung schwierig bis unmöglich, diese Hürde zu nehmen. Die Nutzen-Kosten-Untersuchung kommt dem Vernehmen nach zu dem Schluss, dass die „Förderfähigkeit nicht gegeben" sei. Zwar würde die neue Verbindung zum Teil Reisezeiten senken und Fahrgästen anderweitig nützen, heißt es. Doch die Kosten des S-Bahn-Betriebs, errechnet wurden mehr als 2,1 Millionen Euro pro Jahr, und andere Faktoren führten dazu, dass die Summe der Nutzenbeiträge mit einem Saldo von minus 1,7 Millionen Euro pro Jahr negativ wäre. Dem stünden die hohen Kosten für den Kapitaldienst von knapp 3,8 Millionen Euro pro Jahr gegenüber, so die Gutachter. Sie beziffern das Nutzen-Kosten-Verhältnis mit -0,44.
Das Projekt sei „nicht zu retten“, folgerte ein Beobachter angesichts der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Das Land Brandenburg bliebe auf allen Kosten sitzen.
Wenn das S-Bahn-Projekt tatsächlich scheitert, hätte der Ministerpräsident ein Problem. Schließlich hatte er den Rolls-Royce-Beschäftigten an jenem 8. Juni 2018 versprochen, dass sie in Zukunft auch bequem mit der S-Bahn zur Arbeit fahren könnten. Das Flugzeugturbinenwerk liegt in Laufnähe zum projektierten Haltepunkt Dahlewitz Gewerbegebiet. Er soll eine von drei Stationen an der 4,7 Kilometer langen S-Bahn-Verlängerung werden, deren Bau drei Jahre dauern würde.
„SOS! Verkehrswende bedroht“
Aber auch Politiker und Bürger hätten Gründe, sich zu ärgern. „SOS! Verkehrswende bedroht“, heißt es in einem anonymen Schreiben, das der Berliner Zeitung zuging. Aus hatten wir erfahren, dass die Nutzen-Kosten-Untersuchung negativ ausgangen ist.
Blankenfelde-Mahlow, zu dem das rund 2300 Einwohner zählende Dahlewitz gehört, und Rangsdorf mit seinen mehr als 11.500 Einwohnern gehören zu den stark wachsenden Gemeinden im Landkreis Teltow-Fläming. Eine Bürgerinitiative in Rangsdorf setzt sich seit Jahren für das Projekt ein. „Wir möchten gern mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen und das Auto stehen lassen“, heißt es auf ihrer Internetseite.
„Alle Beteiligten wollen die S-Bahn nach Rangsdorf“, sagte Michael Wedel vom Deutschen Bahnkundenverband. „Es wäre traurig, wenn sie nicht kommt.“ Das Projekt sei zu Recht in das Programm i2030, mit denen Berlin, Brandenburg, die Bahn und der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) die Infrastruktur in der Hauptstadtregion ausbauen wollen, aufgenommen worden. Inzwischen hat es die Stufe der Vorplanung erreicht, für die sechs Millionen Euro bereitgestellt worden sind.
Doch auch die aktivsten Befürworter können die Standards, die bei einer Nutzen-Kosten-Untersuchung zu erfüllen sind, nicht aushebeln. Die Erstbewertung kommt zu dem Ergebnis, dass das Rangsdorfer S-Bahn-Projekt den Anforderungen nicht gerecht werden würde. Dabei schlagen nicht nur die Betriebskosten zu Buche. Die Aufwendungen für die Planung und die Investitionen werden mit 107 Millionen Euro beziffert. Zwei zusätzliche Vier-Wagen-Züge der S-Bahn wären erforderlich. Vor allem aber hielte sich der Fahrgastzuwachs in Grenzen. Die Verkehrssituation ist nun einmal grundlegend anders als vor rund acht Jahrzehnten, als erstmals S-Bahnen nach Rangsdorf fuhren.
Am 6. Oktober 1940 trafen zum ersten Mal Gleichstromzüge aus Berlin in dem Ort am Rangsdorfer See ein. Nachdem bei der Grenzschließung am 13. August 1961 das Teilstück zwischen dem West-Berliner Ortsteil Lichtenrade und Mahlow in der damaligen DDR unterbrochen worden war, hielt sich der Inselbetrieb aber nicht mehr lange. Wenige Wochen nach dem Beginn des Mauerbaus wurde der S-Bahn-Verkehr zwischen Mahlow und Rangsdorf eingestellt. 1992 wurde er bis Blankenfelde wieder aufgenommen.
Neubau der Dresdner Bahn wird die Fahrzeit des Regionalverkehrs verkürzen
Anfangs ergänzte die S-Bahn den Vorortzugverkehr, den es vorher schon gab, und sorgte mit dichtem Takt für einen Qualitätssprung. Das damalige Angebot an Personenzügen war mit dem heutigen Regionalverkehr in puncto Frequenz, Komfort und Tempo nicht zu vergleichen. Dagegen verkehren heute zweimal stündlich Regionalexpresszüge nach Berlin, wenn auch vorerst auf einem Umweg. Eine dritte Linie ist geplant, es wird also künftig insgesamt noch mehr Regionalzugfahrten geben. Wenn Ende 2025 die Dresdner Bahn neu gebaut und elektrifiziert worden ist, werden Züge im Halbstundentakt direkt zum Südkreuz, zum Potsdamer Platz und zum Hauptbahnhof rollen. Die Reaktivierung dieser Bahnstrecke im Süden von Berlin wird die Fahrzeiten enorm verkürzen – und den Vorteil des Regionalverkehrs gegenüber der S-Bahn noch klarer werden lassen.
Ein Regionalbahnhof an der Buckower Chaussee, wie ihn die Bezirke Tempelhof-Schöneberg, Neukölln und Steglitz-Zehlendorf fordern, könnte die Reisezeit zwar etwas verlängern. Aber er würde auch zusätzliche Umsteigeverbindungen schaffen.

Das geplante Verkehrsprojekt leide vor allem darunter, dass die von der S-Bahn zusätzlich bedienten Gebiete heute bereits sehr gut an den Regionalverkehr angebunden seien, stellen die Autoren der Nutzen-Kosten-Untersuchung fest. Dadurch fielen die Verbesserungen für die Fahrgäste eher gering aus. Auf einzelnen Relationen würde sich das Angebot gegenüber heute sogar verschlechtern. Das betreffe nicht nur, aber auch die Dahlewitzer, die nach der Planung ihren Regionalzughalt verlören. Sie wären auf einigen Relationen länger als heute unterwegs, etwa zum Potsdamer Platz neun Minuten länger.
Infrastrukturministerium in Potsdam hält sich bedeckt
Damit das Projekt förderfähig werde, müsste der Nutzen erheblich steigern, oder es müssten die Kosten gesenkt werden, stellen die Gutachter fest. Ausreichende Potenziale seien jedoch nicht erkennbar. Der erwartete Zuwachs bei der Fahrgastzahl fiele moderat aus: unterm Strich 750 Fahrten pro Werktag. Davon würden sich 630 Fahrten von anderen Verkehrsmitteln zur neuen S-Bahn verlagern, nur 120 Fahrten entfielen auf neue Fahrgäste. Für ein positives Ergebnis wäre die zwei- bis dreifache Fahrgastzahl erforderlich – was nach jetzigem Stand illusorisch ist.
Nun wird weiter gerechnet. „Die Nutzen-Kosten-Untersuchung für die Trasse ist noch nicht abgeschlossen“, sagte Elke Krokowski, Sprecherin des Verkehrsverbunds VBB. „Es liegen erste Teilerkenntnisse vor, die Prüfung verschiedener Varianten für diesen Abschnitt läuft aber derzeit noch“, teilte Katharina Burkardt, die Sprecherin des Brandenburger Infrastrukturministers Guido Beermann (CDU), in Potsdam mit. Dem Vernehmen nach ist inzwischen untersucht worden, ob die S-Bahnstrecke zumindest nach Dahlewitz verlängert werden könnte – wiederum unter Aufgabe des dortigen Regionalzughalts. In diesem Fall läge der Nutzen-Kosten-Faktor deutlich über 2, er wäre also positiv. Busse würden den Anschluss zum Werk von Rolls-Royce herstellen.
Experte hält die S-Bahn trotzdem für notwendig
Vor einer abgeschlossenen vollständigen Betrachtung der Trasse könne das Ministerium keine weitergehenden Aussagen tätigen, sagte Burkardt. „Insoweit können wir auch zum Zeitrahmen der weiteren Umsetzung beziehungsweise zur Eröffnung des Streckenabschnittes noch nichts sagen.“
Ein anderer Beobachter wies auf Schwachstellen in dem Bewertungsverfahren hin. „Sinnvolle Projekte können bei Nutzen-Kosten-Untersuchungen scheitern, wenn Rahmenbedingungen ungünstig sind. Das ist ein grundsätzlicher Mangel“, sagte er. Probleme gebe es vor allem dann, wenn benachbarte Verkehrsanlagen teure Anpassungen erfordern. Im Fall der S-Bahn nach Rangsdorf müssten zum Beispiel Gleise des Fern- und Regionalverkehrs verlegt werden, hieß es. Auch andere Baumaßnahmen wären erforderlich. Das treibe die Kosten unverhältnismäßig in die Höhe, hieß es. „Im dicht besiedelten Berliner Speckgürtel sind weitere Verkehrsoptionen notwendig. Dass die S-Bahn-Verlängerung in einem schwierigen Umfeld stattfindet, kann kein Totschlagargument sein.“