Öffentliche Toiletten: Der Sichtschutz ist schlanker als der Durchschnittsmann

Wie gut, dass Männer nicht mehr in Büsche zu pinkeln brauchen. Wie schade, dass man ihnen dennoch zuschauen muss.

Gut einsehbar: das Pissoir an der Alten Jakobstraße/Oranienstraße
Gut einsehbar: das Pissoir an der Alten Jakobstraße/OranienstraßeBenjamin Pritzkuleit

Einer der Unterschiede von Stadt und Land besteht darin, dass hier sichtbar ist, was dort verborgen bleibt. Ob es heimliche Küsse sind oder Hundehaufen, es lassen sich viele Beispiele finden. Wenn ich über Stadt und Land nachdenke, fällt mir auf manchen Wegen immer öfter das Pinkeln ein. Leider. Ein Waldspaziergänger, der seinen Flüssigkeitshaushalt überfordert hat, verschwindet zwischen den Bäumen und schadet ihnen nicht, solange er nicht täglich an derselben Stelle Halt macht. In der Stadt aber lassen Späti-Trinker, Kneipenbesucher und Wohnungslose ihren Blaseninhalt in öffentlichen Grünanlagen (schlimm), Vorgärten (schrecklich) oder Hauseingängen (grauenhaft). Deshalb ist die großzügige Neuausstattung Berlins mit öffentlichen Toiletten, die sich seit anderthalb Jahren vollzieht, zu begrüßen.

Keine Gewalt hinter verschlossenen Türen!

Aber ach, auch diese Sache hat ihre zwei Seiten. Rein architektonisch, denn die Häuschen sind so gebaut, dass man auf der einen Seite nur durch eine Tür hineingelangt, auf der anderen jedoch direkt, solange man anatomisch etwas mit einem Pissoir anfangen kann. Frauen und nicht binäre Personen beklagten sich stadtauf, stadtab und auch in dieser Zeitung, dass sie zum Türöffnen eine Gebühr zahlen müssen, während Männer kostenlos zum Urinal dürfen. Die 50 Cent für den abschließbaren Raum seien nötig, damit „Fehlnutzungen vorgebeugt werden kann“, teilt die verantwortliche Senatspressestelle mit, und: „Wegen der fehlenden Tür ist eine entsprechende Fehlnutzung bei den Stehpissoirs hingegen sehr unwahrscheinlich.“ Es geht, unausgesprochen, um Übernachtungen, Drogengeschäfte oder Gewalt.

Auf meinen Wegen ist nicht das Geld das eigentliche Ärgernis, sondern der Anblick. Sicher wohnt niemand der Leute, die diese neuen Klohäuschen positioniert haben, in der Nähe eines solchen. Zum Beispiel am Leopoldplatz im Wedding oder am Boddinplatz in Neukölln. Oder am U-Bahnhof Südstern, wo der Fußweg direkt auf die Urinale zuführt und man zu jeder Tageszeit zuschauen kann, wie jemand dort steht und pinkelt. Denn der Sichtschutz ist schlanker als die Männer. Das, was bisher nebenan eklig, aber doch einigermaßen diskret in den Büschen geschah, vollzieht sich hier direkt im Blickfeld. Besonders publikumswirksam verläuft das Pinkeln sonnabends, wenn bereits wenige Schritte vom Häuschen entfernt Marktstände für Crêpes, Blumen und Gemüse Käufer empfangen.

Hätte man das Südstern-Häuschen vielleicht mit der offenen Seite zur Straße aufstellen können? Welch kurzsichtige Überlegung! Voyeuristisch veranlagte Autofahrerinnen und Autofahrer wären vom Blick ins Klohaus abgelenkt und würden Unfälle provozieren.