Verkalkuliert: Warum Berlin seine direkte Verbindung nach Sylt verliert
Für den beliebten Intercity nach Westerland gibt es keinen Platz auf den Gleisen mehr. Auch andere Nordseeziele sind betroffen. Pro Bahn ist entsetzt.

Berlin - In nur noch vier Stunden nach Köln, eine neue ICE-Sprinterverbindung nach München, mehr Züge nach Warnemünde und Rügen: Der neue Fahrplan der Deutschen Bahn (DB), der zum 12. Dezember in Kraft tritt, hält für die Berliner zahlreiche Verbesserungen bereit. Doch eine traditionsreiche Verbindung, die es schon zu Mauerzeiten gab, ist darin nicht mehr enthalten. Der direkte Zug von Berlin nach Westerland (Sylt), der im September wegen Bauarbeiten auf der Hamburger Bahn ausgesetzt werden musste, wird nicht wieder ins Programm von DB Fernverkehr aufgenommen. Wer mit dem Zug von der Hauptstadt auf die Nordseeinsel will, muss jedes Mal in Hamburg umsteigen. Die Bahn hat sich selbst ein Bein gestellt, sagen Experten. Die Sylt Marketing GmbH kritisiert die Einstellung.
„Nachdem bereits die wichtige Flugverbindung Berlin–Sylt von Easyjet gecancelt wurde, kommt leider noch der Verlust der Direktverbindung auf der Schiene hinzu, zumindest in der Fahrtrichtung von Berlin nach Westerland auf Sylt“, sagte Bruno Pischel der Berliner Zeitung. Er ist Sprecher der Sylt Marketing GmbH, die die Insel wirbt. Dass Sylt von Berlin aus mit dem Zug nicht mehr direkt erreichbar ist, stößt auf Befremden. „Aus Sicht der Sylt Marketing GmbH bewerten wir den Wegfall dieser komfortablen Anbindung als herben Verlust, da Berlin seit langer Zeit ein wichtiger Quellmarkt der Insel ist“, so Pischel. An zu niedrigen Fahrgastzahlen habe dies nicht gelegen – im Gegenteil.
„Der Zug war ein Goldesel“
Das stimmt, heißt es intern bei der Deutschen Bahn. Der Intercity namens „Uthlande“, der Berlin mit Westerland verband, war bis zuletzt gut gebucht. „Er war ein Goldesel“, bestätigte ein Beobachter. Schließlich ist Sylt eine beliebte Urlaubsdestination vieler Berliner. Der Zug war aber nicht nur für Sylt-Touristen praktisch. Um Reisenden nach Amrum das Umsteigen in Niebüll zu ersparen, führte der Zug während der Sommersaison durchlaufende Wagen nach Dagebüll mit. Dort endete die Fahrt am Fähranleger – bequemer ging es nicht. Außerdem bot der Sylt-Zug gute Anschlüsse zu weiteren Ferienzielen, zum Beispiel nach Büsum und St. Peter-Ording.
Trotz zuletzt ziemlich abgeschabter Wagen war er ein beliebtes „Produkt“ der Bahn, noch dazu eines mit Tradition. Denn schon in den 1970er-Jahren, als noch die Deutsche Reichsbahn der DDR für den Zugverkehr in West-Berlin zuständig war, gab es die Direktverbindung – freilich nicht für DDR-Bürger, die kein Visum hatten.
Zuletzt begann der Sylt-Intercity seine Reise ans Meer bereits in Dresden. In Berlin hielt er um kurz nach 9 Uhr, knapp fünfeinhalb bequeme Stunden später waren die Fahrgäste in Westerland. Aber dann begannen Bauarbeiten auf der Hamburger Bahn. Seit September 2021 lässt die Bahn die Züge zwischen Berlin und Hamburg über eine andere Strecke fahren. Weil die Umleitung nicht genug Kapazität für alle bisherigen Fahrten hat, stellte die Bahn den Zug Berlin–Sylt ein. Nun steht fest: Er kommt nicht zurück.
Bahn-Fans haben festgestellt, dass im neuen Fahrplan um kurz nach 9 Uhr stattdessen ein Intercity Express (ICE) vom Berlin Hauptbahnhof nach Hamburg fährt. Damit ist die alte Trasse belegt und für den Sylt-Zug zu dieser Zeit kein Platz mehr. DB Fernverkehr wollte ihn deshalb eine Stunde früher einsetzen. Doch um 8.05 Uhr rollt bereits ein Zug des privaten Betreibers Flixtrain von Berlin nach Hamburg. Flixtrain hat die Trasse den Regularien gemäß erneut erhalten.
Fahrgastverband Pro Bahn: „Ein falsches Zeichen für die Zukunft“
Das bedeutet: Weder zum früheren Zeitpunkt noch zum Wunschtermin von DB Fernverkehr ist zwischen Berlin und Hamburg Platz frei. Deshalb muss der Zug, der künftig am Südkreuz beginnt, schon um 7.06 Uhr als IC 2070 vom Hauptbahnhof nach Hamburg-Altona fahren. Dort endet er, um genau eine Stunde lang zu pausieren. Um 10.23 Uhr rollt die Zuggarnitur als IC 2074 weiter nach Westerland, das laut Fahrplan um 13.37 Uhr erreicht wird. Immerhin: Anders als von Beobachtern befürchtet müssen Lok und Wagen nicht leer nach Hamburg fahren, Reisende sind willkommen. Doch Fahrgäste an die Nordsee können die Zuggarnitur nicht mehr als Direktverbindung nutzen. Unterm Strich habe die Bahn selbst entscheidend zu dem Dilemma beigetragen, sagen Experten.
Allerdings gibt es auch eine gute Nachricht: Zumindest in der Gegenrichtung wird es vom 12. Dezember an wieder einen direkten Intercity von Sylt nach Berlin geben. Der IC 2075 startet um 14.20 Uhr in Westerland, hält um 19.55 Uhr im Berliner Hauptbahnhof und erreicht nach einer kurvenreichen Umwegfahrt seine Endstation, den Bahnhof Berlin-Lichtenberg, um 21.05 Uhr. So ist es bei bahn.de zu erfahren.
Was bleibt? Wer mit dem klimafreundlichen Verkehrsmittel Bahn nach Sylt reisen und der Insel Autoverkehr ersparen will, muss stets den Zug wechseln. Der Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert, dass es die Bahn nicht geschafft hat, die traditionsreiche Verbindung zu erhalten. „Mit Entsetzen nimmt der Landesverband Berlin-Brandenburg zur Kenntnis, dass man ab Dezember 2021 ab Berlin nicht mehr ohne Umsteigen nach Westerland auf Sylt fahren kann“, sagte der Landesvorsitzende Peter Cornelius. „Seit vielen Jahren war der direkte Zug nach Westerland eine feste Institution für die Berliner Feriengäste der Insel. Das macht die Schiene für die Reise in den Nordsee-Urlaub für Berlin weniger attraktiv, und ist daher ein falsches Zeichen für die Zukunft.“