Verkehr: Harte Noppen sollen Gleislatscher in Berlin abschrecken

Immer öfter müssen S-Bahn und DB den Zugbetrieb unterbrechen, weil Menschen über die Schienen laufen. Jetzt wird in Berlin ein Gegenmittel getestet.

Blick von der Warschauer Brücke. Eine S-Bahn ist zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße unterwegs. Auf diesem Abschnitt werden häufiger Personen im Gleis festgestellt.
Blick von der Warschauer Brücke. Eine S-Bahn ist zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße unterwegs. Auf diesem Abschnitt werden häufiger Personen im Gleis festgestellt.Hohlfeld/imago

Mit ihren vielen kräftigen Spitzen wirken sie so, als sollte man sie besser nicht betreten. Und genau das ist auch der Zweck der Hartgummimatten, die in Berlin auf Bahngleisen verlegt werden sollen. Sie haben die Aufgabe, Menschen davon abzuhalten, über Schienenstränge zu laufen und dadurch den Zugbetrieb zu stören. „Die DB prüft in Berlin den Testeinsatz von Gleismatten“, teilte ein Sprecher der Deutschen Bahn (DB) der Berliner Zeitung auf Anfrage mit. Der Verkehr bei der S-Bahn und anderen Zugbetreibern muss immer öfter unterbrochen werden, weil sich Personen im Gleis befinden.

Nach einer langen bierreichen Diskonacht vom Bahnsteig springen und sich im Gebüsch neben der S-Bahn-Strecke erleichtern. Eine Abkürzung über die Schienen nehmen, um sich einen Umweg zu ersparen. Als Berlin-Tourist Nervenkitzel spüren und auf einem Gleis schnell ein Selfie schießen. Die Zahl der Vorfälle, bei denen der Bahnbetrieb in der Hauptstadt-Region aus solchen Gründen unterbrochen werden muss, ist gestiegen.

Im Januar 2022 wurde der Fern- und Regionalverkehr in Berlin und Brandenburg täglich im Schnitt rund 15 Mal durch Fremdeinwirkungen gestört, teilte der Bahnsprecher mit. Dazu zählen Personen, Gegenstände und Tiere im Gleis. Im Januar dieses Jahres waren es dann schon 15,9 Fälle: „Das entspricht einem Anstieg von rund sechs Prozent.“

Zahl der betroffenen Fahrgäste kann in die Zehntausende gehen

Für die betroffenen Fahrgäste bedeutet dies meist, dass sie länger unterwegs sind als geplant. Wenn stark frequentierte Strecken wie der Ring unterbrochen werden müssen, kann die Zahl der betroffenen S-Bahn-Nutzer rasch in die Zehntausende gehen. So kam es am 19. Januar während des nachmittäglichen Berufsverkehrs zu einem Chaos, nachdem am Ostkreuz Personen im Gleis gesichtet worden waren. Auf den Linien S41, S42 sowie S8 konnte zwischen Schönhauser Allee und Treptower Park keine S-Bahn mehr fahren.

Der schlechte Netzzustand und der hohe Instandhaltungsbedarf seien auch in Berlin der Hauptgrund Nummer eins für Unregelmäßigkeiten im Schienenverkehr, betonte der Bahnsprecher. „Doch mit dem Ende der Corona-Einschränkungen und der Rückkehr der Fahrgäste und des öffentlichen Lebens sind wieder vermehrt Personen in Gleisen und an Bahnanlagen zu beobachten. Das lebensgefährliche Betreten der Gleisanlagen für Selfies oder sonstige Abenteuer ist eine von mehreren Ursachen für Beeinträchtigungen im Bahnbetrieb und Zugverspätungen“, sagte er.

„Vielleicht kann man Drohnen zur Überwachung einsetzen“

„Die Zahl der Störungen, die dadurch entstehen, dass Menschen über Gleise laufen, ist so hoch wie nie“, bestätigte Alexander Kaczmarek, Konzernbevollmächtigter der DB für den Nordosten Deutschlands. „Das macht uns wirklich zu schaffen. In dieser Konsequenz haben wir das bislang nicht erlebt.“ Bei der Ursachenforschung sind die DB-Leute allerdings noch nicht weit gekommen. „Wir fragen uns, was die Leute da wollen. Eigentlich ist das völlig irre“, so Kaczmarek. Denn natürlich ist es gefährlich, Gleise zu betreten. Tonnenschwere Fahrzeuge sind zum Teil mit großen Geschwindigkeiten unterwegs, die Bremswege sind lang. Gleislatscher müssen auch damit rechnen, dass ihre Tat als gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr eingestuft wird – also als Straftat.

Wie berichtet denkt man bei der DB in Berlin seit einiger Zeit verstärkt darüber nach, gegen Fremdeinwirkungen dieser Art vorzugehen. „Vielleicht kann man Drohnen zur Überwachung einsetzen“, sagte der Konzernbevollmächtigte. Bereits angekündigt wurde der Bau von Zäunen entlang von S-Bahn-Strecken, auf denen der Betrieb besonders häufig von Personen im Gleis gestört wird. Genannt wurden in diesem Zusammenhang der Ring zwischen Wedding und Gesundbrunnen und die Trassen zwischen Gesundbrunnen und Blankenburg sowie Schönholz und Tegel. Zuletzt hieß es, dass mit der Zaunaufstellung 2023 begonnen werden soll.

Eine Gleismatte vom Typ Strailgrid an einer S-Bahn-Strecke in München. Die unwegsame Oberfläche mit vielen spitzen Hartgumminoppen soll verhindern, dass Menschen vom Bahnsteig springen und das Gleis betreten.
Eine Gleismatte vom Typ Strailgrid an einer S-Bahn-Strecke in München. Die unwegsame Oberfläche mit vielen spitzen Hartgumminoppen soll verhindern, dass Menschen vom Bahnsteig springen und das Gleis betreten.Kraiburg Strail

Gleismatten könnten ein weiteres sinnvolles Mittel sein, um Menschen davon abzuhalten, Schienenstrecken zu betreten, hieß es jetzt. „Sie sollen verhindern, dass sich unbefugte Personen von Bahnsteigen aus in die Gleisanlagen begeben“, sagte der Bahnsprecher. „Die Matten bestehen aus Hartgummi und haben Noppen, sodass man darauf nicht laufen kann. Sie sind bereits bei der S-Bahn München an der Station Hackerbrücke im Einsatz und haben sich dort bewährt.“ Die Gummiteile erinnern an Fakirmatten, wie sie zum Beispiel bei der Akupressur eingesetzt werden. Doch die Noppen sind härter, und ihre Wirkung ist unangenehmer.

Pilotstrecke in Friedrichshain

Auf zwei Gleisen der Münchener Stammstrecke ließ die DB vor zwei Jahren Matten des Typs Strailgrid verlegen. Der Hersteller, der Bahnübergangshersteller Kraiburg Strail aus dem bayerischen Tittmoning, wirbt mit einer „unwegsamen Oberfläche“, die Menschen und Tiere abschrecken soll. Die vulkanisierten Universalmatten weisen „reihenweise versetzte Spitzen in drei unterschiedlichen Höhen“ auf, heißt es in einem Infotext. Sie seien leicht zu verlegen. Auch im Ausland werden die Matten bereits eingesetzt.

„Für Berlin steht aktuell noch kein Standort fest“, so der Bahnsprecher. Nach seinen Worten ist der S-Bahnhof Warschauer Straße im Gespräch. Eine Station, die an der Friedrichshainer Partymeile liegt und vor allem an Wochenenden von vielen jungen Leuten frequentiert wird. Zuletzt hieß es, dass solche Matten im Bereich des Ostbahnhofs in Richtung Warschauer Straße zwischen und neben den Gleisen angebracht werden sollen. Dieser Abschnitt soll als Pilotstrecke dienen, hieß es.

Zahl der Verspätungen liegt auch in Berlin höher als im Vorjahr

Für den Ostbahnhof hat die DB auch den Einsatz von Bahnsteigendtüren angekündigt. Sie sollen verhindern, dass Menschen vom Bahnsteigende aus Bahnanlagen betreten. Die Station im Osten Berlins gilt als Hotspot, wenn es um Störungen durch Fremdeinwirkungen geht – und das schon seit langem. So musste allein im Jahr 2017 der S-Bahn-Betrieb auf diesem Teil der Stadtbahn rund 100 Mal unterbrochen werden. Fast immer bedeutet dies, dass der Fahrstrom abgestellt wird und Bundespolizisten die Störenfriede suchen müssen.

Auch im Regional- und Fernverkehr können die Effekte beträchtlich sein, sagte der Bahnsprecher. „Gerade in einer wachsenden Großstadt wie Berlin mit immer mehr Reisenden im Nah- und Fernverkehr, mit dichteren Zugfolgen auf den Trassen und engen Fahrplänen genügt manchmal eine Person im Gleis, die Einschränkungen auf einer zentralen Fernverkehrstrasse auslöst, von denen in kurzer Zeit viele Tausend Reisende betroffen sind – mit Auswirkungen auf die Pünktlichkeit entlang des gesamten Streckenverlaufs bis nach Hamburg oder Frankfurt am Main“, sagte er.

Wie berichtet, liegt die Zahl der Verspätungen im Schienenverkehr deutlich über dem Niveau des vergangenen Jahres. So wurden in der Fernverkehrsregion Ost, zu der Berlin und Brandenburg gehören, im Januar 80,1 Prozent der Fahrten als pünktlich registriert. Das bedeutet, dass sie auf die Minute genau verkehrten oder dem Fahrplan um maximal fünf Minuten und 59 Sekunden nach Plan hinterherfuhren. Im Januar 2022 betrug dieser Anteil noch 85,6 Prozent. Bei DB Regio Nordost sank die Quote von 94,9 auf 92,3, bei der S-Bahn Berlin bahninternen Daten zufolge von 98,2 auf 95,8 Prozent.