„Planungsmurks“ am Ostkreuz: Neue Tramstrecke kommt nun noch später

Ein Straßenbahnprojekt als neuer BER? In diesem Jahr werden die Unterlagen erneut öffentlich ausgelegt. Die Linke fürchtet beim Netzausbau einen Kahlschlag.

Die Visualisierung zeigt, wie die geplante Straßenbahnstrecke zum Ostkreuz in der Sonntagstraße verlaufen soll. Anwohner lehnen das Projekt ab, sie fürchten Lärm und Erschütterungen.
Die Visualisierung zeigt, wie die geplante Straßenbahnstrecke zum Ostkreuz in der Sonntagstraße verlaufen soll. Anwohner lehnen das Projekt ab, sie fürchten Lärm und Erschütterungen.Visualisierung: BVG/renderwerke

Es geht es um 1,2 Kilometer Neubaustrecke in Friedrichshain und Lichtenberg. Auf den ersten Blick ist das nicht viel. Doch das Vorhaben, das Ostkreuz ans Straßenbahnnetz anzuschließen, erweist sich als schwieriger als erwartet. Die  Planfeststellungsunterlagen müssen erneut öffentlich ausgelegt werden, jetzt schon zum dritten Mal. Nun wurde bekannt, dass auch anderen Tramprojekten  Verzögerungen drohen – oder sogar das Ende. Die SPD spricht von „Murks“, die Linke fürchtet einen Kahlschlag bei vorgesehenen Neubauvorhaben. Eine aktueller Überblick.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird geplant, debattiert, problematisiert. Um Fahrgästen Fußwege zu ersparen, wollen der Senat und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) die Straßenbahn ans Ostkreuz heranführen. Eine zweigleisige Strecke vom Wühlischplatz über die Sonntagstraße und schließlich zur Marktstraße soll die Erreichbarkeit des wichtigen Bahnknotenpunkts, an dem außer S-Bahnen längst auch Regionalzüge halten, deutlich verbessern. Als die Planung begann, hieß es, dass die Trasse für die Linie 21 und die geplante neue Linie 22 im Jahr 2016 fertig werden könnte. Später war von einer Eröffnung 2019 die Rede, dann von 2023. Heute steht offiziell noch 2026 auf dem Plan.

„Doch auch diesen Termin halte ich inzwischen für unrealistisch. Leider“, sagt der Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg. Die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage, die der Linke-Abgeordnete vor Kurzem von der Senatsverwaltung für Mobilität erhalten hat, bestärkt ihn in seinem Pessimismus. 

Projekt muss noch einmal eine Ehrenrunde drehen

In der Drucksache 19/14 533 bekräftigt Staatssekretärin Meike Niedbal, dass das Planfeststellungsverfahren erneut eine Ehrenrunde drehen muss. Für die fünfte Kalenderwoche 2023 habe die BVG die Einreichung der Unterlagen angekündigt, so die Grünen-Politikerin. „Nach Eingang der Unterlagen sowie positiver Prüfung auf Auslegungsfähigkeit durch die Anhörungsbehörde wird eine notwendige dritte Auslegung der Planfeststellungsunterlagen erfolgen“, kündigt sie an.

Anfang 2018 waren die Unterlagen erstmals öffentlich ausgelegt worden. Dann stellte sich heraus, dass das Projekt deutlich mehr Anrainer betrifft, als das Schallschutzgutachten ergeben hatte. So folgte 2021 eine weitere Auslegung – die zweite.

Diesmal musste die Planung an der Markt- und der Karlshorster Straße verändert werden, sagte Sven Heinemann, SPD-Abgeordneter aus Friedrichshain und Verfasser eines Buches über das Ostkreuz. Ergebnis ist, dass das Projekt erneut in die öffentliche Beteiligung gehen muss. „Desaströs“, urteilt Heinemann. Wie berichtet gab es auch langwierige Diskussionen über die Frage, ob die elektrische Fahrleitung Drehleiter-Einsätze der Feuerwehr behindert. Nachdem erste Debatten bereits 2015 geführt worden waren, konnte Verkehrs-Staatssekretärin Niebal 2022 eine Beilegung des Streits melden.

Sven Heinemann: „Ich bin fassungslos über den Planungsmurks am Ostkreuz“

„Ich bin fassungslos über den Planungsmurks am Ostkreuz“, kritisierte Heinemann am Dienstag. „Dass es hier nur im Schneckentempo vorangeht, kann ich niemandem mehr erklären. Inzwischen muss man ja davon ausgehen, dass die erste Straßenbahn erst ein Jahrzehnt nach der Fertigstellung des Bahnhofs fahren wird“, so der Abgeordnete. Die neuen Gleisanlagen des Ostkreuzes waren Ende 2018 fertig.

Ein weiteres Dauerthema befindet sich weiter im Osten der Stadt. Ebenfalls seit mehr als 20 Jahren ist vorgesehen, den derzeit eingleisigen Straßenbahnabschnitt zwischen dem Bahnhof Mahlsdorf und der Rahnsdorfer Straße zweigleisig auszubauen. Dort kann derzeit nur alle 20 Minuten eine Bahn fahren. Inzwischen kam der Plan hinzu, zur Entlastung des überlasteten Straßenzugs Hönower Straße – Hultschiner Damm weiter östlich eine neue Straßenverbindung zu bauen.

BVG erwartet Baubeginn in Mahlsdorf für 2026

„2018 gab es große Bürgerbeteiligungen, wo die Pläne vorgestellt wurden“, berichtet eine Anwohnerin. „2023 – fünf Jahre später! - gibt es noch nicht einmal einen Planfeststellungsantrag.“ Immerhin: Das Genehmigungsverfahren für die Verkehrslösung Mahlsdorf wird vorbereitet, teilte die Senatsverwaltung jüngst mit. In diesem Quartal sollen die Unterlagen bei der zuständigen Behörde eingereicht werden. Doch bis der Straßenbahnverkehr auf einen Zehn-Minuten-Takt verdichtet werden kann, wird ebenfalls noch Zeit vergehen. Die BVG rechnet mit einem Baubeginn frühestens für Mitte 2026. Mitte 2028 könnten die neuen Anlagen in Betrieb gehen.

Kristian Ronneburg hat den Senat zu weiteren Neubauprojekten bei der Straßenbahn befragt. „Ich würde positiv voranstellen, dass der Senat mit der BVG bei mehreren Strecken an einer Reihe von Finanzierungsvereinbarungen für weitere Planungsphasen steht“, lobt der Abgeordnete. „Das sieht vielversprechend aus.“ Fachleute wissen, wie schwierig es geworden ist, im komplexen Berliner Umfeld den Ausbau der Schieneninfrastruktur voranzutreiben. Der Senat hat zwar Planer eingestellt, doch im privaten Bereich, mit dem er zusammenarbeitet, sind die Kapazitäten ausgelastet.

„Deutlich werden jedoch weitere Verzögerungen“, sagt Ronneburg. Nicht nur für die geplante Strecke zum Ostkreuz nennt der Senat kein Inbetriebnahmedatum mehr. Die Verwaltung bleibt auch für die Trasse, die vom Alexanderplatz über die Leipziger Straße zum Potsdamer Platz und zum Kulturforum führen soll, eine solche Angabe schuldig. Zwar werde gerade an der Entwurfsplanung gearbeitet, womit sich das Projekt auf dem Weg zur Vorbereitung des Planfeststellungsverfahrens befindet, so Meike Niedbal. Doch eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Strecke gebaut werden soll, sei die zügige Fertigstellung der neuen Gertrauden- und der Mühlendammbrücke.

Ab 2030 wieder mit der Straßenbahn nach Neukölln und Reinickendorf

Bei anderen Tramprojekten seien die Vorbereitungen nicht so weit gediehen wie angekündigt, fand Ronneburg heraus. So sollte für das Neubauvorhaben Potsdamer Platz–Rathaus Steglitz die Grundlagenermittlung 2021 beginnen. Doch aus der aktuellen Senatsantwort geht hervor, dass sie noch immer nicht begonnen hat. Ein zweites Beispiel: Für die Trasse, die von Heinersdorf durch den Blankenburger Süden zum S-Bahnhof Blankenburg führen soll, sollten die Ausschreibungen der nächsten Planungsphasen schon im Gange sein. „Jetzt werden sie erst vorbereitet“, sagt Ronneburg.

Die Inbetriebnahme der Trasse durch den Blankenburger Süden wird laut Senat für das Jahr 2030 anvisiert – genauso für die Strecken zwischen Pankow und Weißensee, von der Warschauer Straße zum Hermannplatz sowie von Jungfernheide zur Urban Tech Republic (UTR) auf dem früheren Tegeler Flughafengelände und weiter zum Kurt-Schumacher-Platz. Die Strecke von Spandau zur UTR soll 2032 eröffnet werden, die neue Ost-West-Verbindung von Johannisthal nach Rudow 2029. Ein Jahr vorher soll die Neubautrasse Turmstraße–Jungfernheide ans Netz gehen, so der Senat.

Immerhin, dieses Straßenbahnprojekt erreicht bald die Zielgerade. Im Juni 2023 soll die Trasse vom Hauptbahnhof zur Turmstraße in Betrieb gehen. Die Visualisierung zeigt die M10 vor dem Kriminalgericht Moabit.
Immerhin, dieses Straßenbahnprojekt erreicht bald die Zielgerade. Im Juni 2023 soll die Trasse vom Hauptbahnhof zur Turmstraße in Betrieb gehen. Die Visualisierung zeigt die M10 vor dem Kriminalgericht Moabit.Simulation: Ing.-Büro Dipl.-Ing. H. Vössing GmbH

Was die für die fernere Zukunft avisierten Bauvorhaben anbelangt, sollten die „Alarmglocken schrillen“, berichtet Ronneburg. Dabei geht es zum einen um zwei weitere Strecken in Spandau, die vom Rathaus nach Heerstraße Nord und ins Falkenhagener Feld führen sollen. Auch Trassen wie Spittelmarkt–Mehringdamm oder Potsdamer Platz–Zoo stehen auf dieser Liste.

Linke fürchtet, dass Verkehrsprojekte verschoben oder gestrichen werden

„Hier erwähnt der Senat den Nahverkehrsplan, der sich in der Fortschreibung befindet und in dessen Zusammenhang eine Neubewertung aller Bedarfe erfolge“, sagt Kristian Ronneburg. Anders gesagt: Es wird noch einmal geprüft, ob die Strecken gebraucht werden. „Ich fürchte, dass der Senat die Maßnahmen entweder weiter verschieben oder streichen will“, bedauert der Abgeordnete. „Wir werden uns als Linke dafür einsetzen, dass die Straßenbahnvorhaben weiter geplant werden.“

Der Hauptausschuss habe Ende Januar 2023 zusätzliche Planungsmittel für den Straßenbahnausbau bereitgestellt, ruft Sven Heinemann in Erinnerung. „Ich erwarte jetzt einen raschen Neustart bei der Straßenbahnplanung von allen Beteiligten. BVG, Verwaltung und Genehmigungsbehörde müssen künftig besser zusammenarbeiten“, so der Sozialdemokrat aus Friedrichshain. „Das Pingpongspiel muss aufhören. Sonst scheitern wir an unseren eigenen Ansprüchen für die Verkehrswende in der Stadt.“


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