Verstümmelte Infrastruktur, Rauch im Zug: Woran die Linie RB26 krankt
Es kommt nicht oft vor, dass der Brandenburger Landtag einer Regionalbahntrasse eine mehrstündige Anhörung widmet. Doch in diesem Fall war das nötig.

Verspätungen, volle Wagen, Ausfälle: Das müssen Pendler in Berlin und Brandenburg immer wieder ertragen. Doch auf einer Regionalbahnstrecke in der Hauptstadt-Region sind die Fahrgäste besonders oft genervt. Es geht um die Linie RB26, die von Berlin über Strausberg und Müncheberg nach Kostrzyn führt. Die Lage wird als so schlecht empfunden, dass die Strecke nun Thema einer mehr als zweistündigen Anhörung im Brandenburger Landtag war. Die Experten waren sich am Donnerstag einig, was zu tun wäre. Doch der entscheidende Ansprechpartner saß in Potsdam nicht mit am Tisch.
Im Land Brandenburg gibt es nicht viele Politiker, die häufig Zug fahren. Kristy Augustin ist da anders. Die CDU-Abgeordnete aus Letschin im Oderbruch ist häufig mit der Bahn unterwegs. „Ich nutze die RB26 oft. Aber in den vergangenen Monaten habe ich mich davor gescheut“, sagte sie im Ausschuss für Infrastruktur und Landesplanung.
Immer wieder komme es vor, dass eine Regionalbahn nicht aus zwei, sondern nur aus einem Triebwagen besteht, berichtet sie. Dann werde es rasch so voll, dass Fahrgäste Mühe hätten, in den Zug zu kommen. Augustin hat auch schon erlebt, dass kurz vor der Abfahrt am Ostkreuz mitgeteilt wird, dass die Zugfahrt erst in Lichtenberg beginnt. „In den zwei Minuten habe ich es nicht mehr dorthin geschafft“, so die Abgeordnete.
Daten des Verkehrsverbunds zeigen: Die Pünktlichkeitsquote ist gesunken
Der Seelower Bürgermeister Jörg Schröder sprach für die „Initiative für zuverlässigen Nahverkehr“, die von erbosten Streckenanrainern im vergangenen Jahr gegründet worden ist und inzwischen mehr als 1300 Mitglieder hat. Mit Unterschriftenlisten, Demonstrationen, einem Filmprojekt, einer Facebook-Gruppe und einem Flashmob, bei dem als Nikoläuse verkleidete Fahrgäste einen Zug enterten, haben die Bürger auf die Probleme aufmerksam gemacht. „Bislang wurde sehr unbefriedigend reagiert“, so der SPD-Politiker. Der Wunsch, einen Teil des Fahrgelds erstattet zu bekommen, wurde nicht erfüllt. „Es ist nicht alles schlecht auf der RB26.“ Doch es gebe viel zu tun.

Dass der Landtag mehr als zweieinhalb Stunden über eine einzige Regionalbahnlinie debattiert, ist neu. Schon die offiziellen Angaben zeigen, dass es auf diesem Teil der Ostbahn Probleme gibt. Im vergangenen Jahr registrierte der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) gerade mal 84,7 Prozent der Zugfahrten als pünktlich oder um maximal vier Minuten und 59 Sekunden verspätet. Im Jahr davor waren es 93,3 Prozent.
Fahrplan mit null Reserven
„2022 war stark geprägt durch über das ganze Jahr verteilte Bauarbeiten. Das führte immer wieder zu Frust“, bestätigte Detlef Bröcker, Chef der Niederbarnimer Eisenbahn. Das Unternehmen betreibt seit 2006 die Züge auf der Linie RB26, die 80 Kilometer lang ist und 16 Stationen umfasst. Zwar konnten weiträumige Streckensperrungen, die DB Netz verlangte, gerade noch abgewendet werden. Doch ein Fahrplan mit null Reserven ließ die Pünktlichkeitsquote in den Keller rauschen, bestätigte Bröcker. Im August wurden gerade mal 61,1 Prozent der Fahrten als pünktlich registriert – sehr schlecht.
Nach dem vorläufigen Bau-Ende im November hat sich die RB26 im Ranking der 43 Regionalverkehrsstrecken in Berlin und Brandenburg wieder nach oben bewegt. „Der Pünktlichkeitsgrad der letzten sieben Tage liegt bei rund 96 Prozent“, sagte Joachim Radünz, Sprecher des Verkehrsverbunds, der Berliner Zeitung. Fielen im Januar noch 1,1 Prozent der Fahrten aus, sank die Quote im Februar auf 0,1 Prozent, so Detlef Bröcker.
Nicht immer klappt es, Züge zu kuppeln
„Doch kommt es immer wieder zu Kapazitätseinschränkungen“, sagte Joachim Radünz. Das hat sich nicht geändert. Weil auf anderen Strecken Fahrzeuge vom Typ RS1 zur Hauptuntersuchung müssen, musste die Niederbarnimer Eisenbahn Dieseltriebwagen vorübergehend von der RB26 abziehen. „Daher steht derzeit keine Reserve zur Verfügung“, so Radünz. Kurzfristige Fahrzeugstörungen wirkten sich sofort aus.
Außerdem sei es nicht möglich, Züge in Mehrfachtraktion mit jeweils mehreren Triebwagen zu fahren – was eigentlich geplant ist, weil im Berufsverkehr der Andrang besonders groß ist. Im Januar war bei zehn Prozent der Fahrten auf der Linie RB26 nur Einzel- statt Doppeltraktion möglich, ergänzte Bröcker.
Auch wenn sie vollzählig sind: Die polnischen Triebwagen vom Typ Pesa Link, von denen elf für die RB26 zur Verfügung stehen, sind bei nicht wenigen Fahrgästen unbeliebt. „Der Hersteller hat Fahrzeuge mit gravierenden Qualitäts- und Verarbeitungsmängeln ausgeliefert“, sagte ein Experte. Die Analyse, die er für die „Initiative für zuverlässigen Nahverkehr“ erstellt hat, liegt der Berliner Zeitung vor.
Rauchbelästigung, Lärm, defekte Toiletten
„Im Bahndeutsch ausgedrückt: Diese Fahrzeuge sind nicht betriebsfest und nicht tauglich für den Betriebseinsatz“, lautet seine Bilanz. Pro Seite gibt es nur zwei Türen, zu wenige für den Andrang. Die Toiletten seien oft defekt. Klimaanlage und Heizungen seien für das Einsatzgebiet „nicht geeignet“. „Häufige Starts und Stopps überfordern die Geräte. Sichtbare Folge ist extreme Rauchgasbelästigung bis in den Fahrgastraum, im Winter werden die Temperaturen nicht erreicht.“ Laute Lüftungen erzeugen Lärm.
„Wir haben Zugstörungen, bei denen das Fahrzeug nicht fahren will. Störungen bei der Elektronik, im elektronischen Bereich“, erklärte Detlef Bröcker im Landtagsausschuss. Immer noch gebe es Triebwagen, die sich nicht mit anderen Links kuppeln lassen. Es komme vor, dass der erste Zug früh um 4 Uhr einfach nicht wie geplant losfahren will.
Unter Mehdorn wurden Weichen und Gleise abgebaut
Bis zu einem gewissen Maß wären die Verspätungen tragbar, wenn sie wieder ausgeglichen werden könnten. Doch das stoße auf Schwierigkeiten, bekräftigte Detlef Bröcker in Potsdam. „Infrastrukturelle Restriktionen, weitgehende Eingleisigkeit, nur wenige fahrplanmäßige Kreuzungsmöglichkeiten“: Das war seine Problem-Analyse. So könnten im Bereich Herrensee östlich von Strausberg nur 30 Sekunden Verspätung ausgeglichen werden, bei Trebnitz gebe es anderthalb und bei Werbig zwei Minuten Reserve: Kein Wunder, dass der Fahrplan sehr leicht aus dem Takt geraten kann.
Der Experte, der für die Bürgerinitiative die Lage analysiert hat, wird auch hier deutlicher. In der Hauptstadt-Region war die Ostbahn besonders stark vom Sparwahn betroffen, der unter Bahnchef Hartmut Mehdorn Höhepunkte erlebte, stellte er fest. Seit den Nullerjahren wurden „vermeintlich nicht benötigte Anlagen schrittweise zurückgebaut“, so seine Bilanz. In allen Stationen wurden Gleise, Weichen und zum Teil auch Bahnsteige entfernt oder vom Netz abgeklemmt. Auch signaltechnisch wurde die Kapazität auf das Nötigste beschränkt. Die Ostbahn könnte andere Strecken zwischen Deutschland und Polen entlasten. Doch solange tagsüber auch Regionalbahnen verkehren, sei Güterverkehr „nahezu unmöglich“, bilanzierte der Experte.
Ostbahn wird als Entlastungsstrecke für den Güterverkehr nach Polen benötigt
Für den internationalen Güterverkehr werde die Ostbahn dringend gebraucht, pflichtete Alexander Kaczmarek im Landtagsausschuss bei. Die heutige Hauptstrecke zwischen Deutschland und Polen via Frankfurt (Oder) habe die Leistungsgrenze erreicht, sagte der Konzernbevollmächtigte der Bahn. In zwei Jahren sei die Zahl der jährlichen Fahrten von 45.000 auf 55.000 gestiegen. „Weitere Verkehre, zum Beispiel von Tesla, sind zu erwarten. Das Risiko besteht, dass wir auf der Frankfurter Bahn zulaufen“, warnte er.
„Wir wären sehr daran interessiert, wenn die Ostbahn Aufgaben im internationalen Güterverkehr erfüllen könnte“, so Alexander Kaczmarek. Von der Maximalvariante, die eine Streckengeschwindigkeit von Tempo 160, Zweigleisigkeit und eine Elektrifizierung vorsieht, wären Abstufungen möglich. Wichtig wäre eine Verbindungskurve bei Seelow, um dort Güterzüge von und nach Polen auf die Ostbahn leiten zu können.
Niederbarnimer Eisenbahn verspricht bessere Information
Doch der nötige Ausbau der Ostbahn sei weder bei i2030, dem Investitionsprogramm für die Hauptstadt-Region, noch im Bundesverkehrswegeplan verankert. „Es gibt Ideen, aber noch keine Finanzierung“, bedauerte Kaczmarek. „Wir sind mit unseren Argumenten bei unserem Eigentümer auf Bundesebene noch nicht wirklich durchgedrungen.“ Und damit geriet die Debatte auch schon wieder ins Stocken, denn der Bund war bei der Debatte in Potsdam nicht vertreten.
Und so müssen sich die genervten Fahrgäste mit Änderungen im Detail begnügen. Detlef Bröcker von der Niederbarnimer Eisenbahn sagte im Ausschuss, dass die Linie RB26 jetzt einen eigenen Qualitätsmanager habe. Busanschlüsse sollen gesichert werden, indem Echtzeitdaten in die Busse übermittelt werden. Wenn sich ein Zug in Rehfelde um mehr als sechs Minuten verspätet, endet die Fahrt in Lichtenberg. Fahrgäste in Ostkreuz sollen dann noch genug Zeit haben, mit der S-Bahn dorthin zu fahren.
Jörg Schröder von der Initiative forderte eine „Taskforce Ostbahn“. Doch weil die Strecke seiner Einschätzung nach für den Fernverkehr keine Bedeutung habe, bleibt der Bund bei seinem Nein. Schon habe es wieder Bauarbeiten gegeben, berichtete Schröder. Für Ende März und Anfang April 2023 stehen weitere Unterbrechungen auf dem Plan.
Es sieht so aus, als ob die Fahrgäste auf der RB26 noch lange Zeit ein dickes Fell brauchen werden.