Verkehrsmoral und Unfallzahl: Berlins Radfahrer sind besser als ihr Ruf

Rüpelradler, Radrambos – von wegen! Eine Untersuchung zeigt, dass der Anteil der Radfahrer, die wichtige Verkehrsregeln missachten, zurückgegangen ist. Es wird öfter regelkonform gefahren, lautet ein Ergebnis der Berliner Studie. In den vergangenen drei Jahren sei in der östlichen Innenstadt auch die Zahl der Unfälle, bei denen Radfahrer schwer verletzt oder getötet wurden, deutlich gesunken.

Woran das liegt? Zwischen Tiergarten und Alexanderplatz ist seit 2014 die Fahrradstaffel der Polizei unterwegs, und das wirkt sich positiv aus, wie die Unfallforschung der Versicherer (UDV) jetzt festgestellt hat. Die Polizei will darüber nachdenken, ob sie das Einsatzgebiet der Staffel erweiter – doch vor 2019 wird das nichts.

Gibt es wirklich weniger Radrambos in Berlin? Autofahrer und Fußgänger werden dieses Ergebnis der Fahrradstaffel-Studie anzweifeln. Ihre Erfahrungen sehen anders aus. UDV-Chef Siegfried Brockmann ist anzumerken, dass auch er über diesen Befund lange nachgedacht hat. „Die Verkehrsmoral hat sich verbessert? Da fehlt mir fast der Glaube.“

Verstöße penibel notiert

Wie sind die Forscher vorgegangen? Im Juni 2014, einen Monat vor den ersten Streifenfahrten der Fahrradstaffel, beobachteten sie an drei Stellen in Mitte Radfahrer – insgesamt mehr als anderthalbtausend. Im November 2014, im Juni 2016 und im Juni 2017, als die Fahrradpolizisten regelmäßig auf Tour waren, kehrten die Forscher zurück – um dort mehr als 7 250 Radfahrer zu beobachten. Penibel notierten sie, ob sich die Radler an Regeln hielten.

Das Team stellte einen „deutlichen Rückgang des Fehlverhaltens“ fest. Bevor die Fahrradstaffel anfing, waren 21,1 Prozent der beobachteten Radfahrer auf dem Gehweg unterwegs – danach 10,9 Prozent. Vorher wurden 17,3 Prozent der Radler dabei gesehen, dass sie bei Rot fuhren – danach sieben Prozent. Vorher radelten 12,4 Prozent in die falsche Richtung – danach 5,2 Prozent.

Die Forscher erklären das so: Die Verhaltensänderungen haben damit zu tun, dass seit drei Jahren Polizeibeamte auf Fahrrädern in der City Ost patrouillieren – Tag für Tag, nur bei Glatteis nicht. In ihrem Radlerdress in Blau und Grellgrün sind die Mitglieder der Staffel nicht zu übersehen. Der Schriftzug „Polizei“ prangt auch auf den Trekkingrädern und Pedelecs, die der 20-köpfigen Einheit gehören. Jeder Radfahrer in der City Ost muss damit rechnen, dass er Fahrradpolizisten begegnet.

„Der Kontrolldruck ist gestiegen“, sagte Brockmann. Das beeinflusse das Verhalten. Befragungen zeigten, dass Radfahrer nun öfter als bisher befürchten, bei Verstößen von der Polizei erwischt zu werden.

Oft stehen die Fahrradpolizisten an Unfallschwerpunkten. Die Einsätze an diesen Stellen haben sich ebenfalls positiv ausgewirkt, so die Studie. Denn die Zahl der von Radfahrern verursachten Unfälle, bei denen es schwer Verletzte und Tote gab, sank dort um 54 Prozent. Bezogen auf das gesamte Einsatzgebiet, ging die Zahl der Radunfälle mit schweren Personenschäden um 12,4 Prozent zurück. In Neukölln, wo die Staffel nicht unterwegs ist, ist der Rückgang geringer – 7,7 Prozent.

Viele Anzeigen gegen Autofahrer

Dagegen zeigte sich auch im Neuköllner Vergleichsgebiet, dass Radfahrer seltener als früher Verkehrsregeln missachteten. Brockmann: „Das könnte daran liegen, dass viele Radfahrer, die in Mitte unterwegs sind, auch durch Neukölln radeln.“

Die Polizei kümmere sich viel zu wenig um Autofahrer, die Radfahrer gefährden: Das war ein Vorwurf, den sich auch die Berliner Fahrradstaffel anhören musste. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie die vorgestellten Zahlen zeigen. Während der ersten drei Jahre nahmen die Radpolizisten 14 426 Ordnungswidrigkeiten von Radfahrern auf, davon 8 702 wegen Rotlichtverstößen. Bei Autofahrern waren es 37 718 Ordnungswidrigkeiten. Besonders viele Anzeigen (28 430) gab es wegen zugeparkter Radstreifen. „Die Polizei darf nicht wegschauen“, so Brockmann. „Doch die Radfahrer müssen stärker in den Fokus kommen.“

Heute freut sich die Radlobby, dass es die Fahrradstaffel gibt. So fordert das Team Volksentscheid Fahrrad, dass alle Polizeidirektionen und Ordnungsämter solche Einheiten einrichten. Aber dazu wird es nicht kommen. Jetzt gehe es erst einmal darum, für die 20 derzeitigen Radpolizisten Planstellen zu schaffen, sagte Andreas Tschisch vom Stab des Polizeipräsidenten.

Bis 2019 werde das dauern. Danach gehe es um die Frage: „Können wir, wollen wir, müssen wir das Einsatzgebiet der Staffel ausweiten?“ Im Gespräch seien Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Dafür sei aber weiteres Personal nötig. Erst 2019 oder 2020 könne es weitere Fahrradpolizisten geben.