Vermisster Laurin ist zurück: Zwölf Tage lebte er in seinem Wald-Versteck
Noch immer bekommt Christina S. Nachrichten von Fremden. Die Absender freuen sich mit der 43-Jährigen, dass ihr Sohn Laurin wieder da ist. Sie schreiben ihr, wie erleichtert sie sind. „Die Hilfsbereitschaft und die Anteilnahme der Berliner überwältigt mich“, sagt die Mutter. „Mir erscheint die Großstadt in anderem Licht. Nicht mehr als der Moloch mit dreieinhalb Millionen Einwohnern, sondern wie ein Dorf, in dem man sich eben unterstützt.“
Noch immer hängen tausende Suchplakate mit der Handynummer von Christina S. an Laternen, Bäumen und Hauswänden in der ganzen Stadt. Viele Menschen hatten sich mit Hinweisen an der Fahndung nach dem 16-Jährigen beteiligt, hatten die Augen aufgehalten und der Familie Mut zugesprochen.
Haus der Statistik durchsucht
Laurin war am Dienstag vor zwei Wochen nicht bei einem Praktikumstag seiner Schulklasse in Potsdam erschienen. Sein Vater hatte ihn am frühen Morgen noch am Bahnhof Spittelmarkt in den Zug steigen sehen. Er wollte zum Alexanderplatz und da in den Regionalzug nach Brandenburg steigen. Dort kam er allerdings nie an. In den darauffolgenden Tagen mobilisierten die Eltern eine großangelegte Suchaktion.
Die Polizei hatte zu keinem Zeitpunkt Indizien für ein Unglück oder ein Verbrechen. Eher ging sie davon aus, dass der Junge vorübergehend nicht gefunden werden wollte.
Ein paar Mal rückten die Beamten dennoch aufgrund eines konkreten Verdachts aus: 60 Polizisten durchsuchten das Haus der Statistik am Alexanderplatz. Zuvor hatten mehrere Klassenkameraden den Hinweis gegeben, dass Laurin ein Faible für Ruinen habe und bereits zuvor einmal in das verfallene Gebäude geklettert sei. Ein anderes Mal suchten Beamte das Seeufer an der Krummen Lanke ab, nachdem eine Spaziergängerin dort Schulsachen im Wasser treiben gesehen hatte.
Unterschlupf im Wald
Laurin selbst bekam von alldem nichts mit. Er hielt sich in einem Versteck im Wald bei Potsdam auf. „Ein Unterschlupf, den er sich aus Decken gebaut hat“, sagt seine Mutter. Jeden Tag ging der Junge zum Supermarkt am Bahnhof Potsdam, um für kleines Geld etwas Essen zu kaufen. Was sich jetzt bewahrheitet: Ein Passant erkannte ihn etwa eine Woche nach dem Verschwinden in dem Geschäft, meldete das auch der Polizei. Doch die Suche auf den Videobändern des Ladens verlief im Sand.
Nach zwölf Tagen entschied der Junge von sich aus, einen Freund anzurufen. Der Kumpel überredete ihn zur Rückkehr, meldete sich sofort bei den besorgten Eltern. „Jetzt ist Laurin wieder zu Hause“, berichtet Christina S.. Es werde dauern, bis Mutter, Vater und Sohn das Erlebte aufgearbeitet haben und wieder zum Alltag zurückkehren können. Als Grund für seine Flucht habe Laurin Probleme in der Schule genannt. „Wir werden jetzt für alles eine Lösung finden“, sagt Christina S. „Hauptsache, unser Sohn ist wieder da und es geht ihm gut.“
In Berlin werden jedes Jahr tausende Kinder und Jugendliche als vermisst gemeldet. Die allermeisten tauchen wieder auf: Von 5986 Minderjährigen, die im Laufe des Jahres 2017 verschwanden, liegen inzwischen 5727 Fälle wieder bei den Akten. Das entspricht einer Aufklärungsquote von 95 Prozent. Erst am vergangenen Wochenende hatte die Bundespolizei bei Kontrollen auf der Bahnstrecke zwischen Alexanderplatz und Lichtenberg fünf vermisste Kinder und Jugendliche aufgegriffen und in Gewahrsam genommen.