Versorgungsgemeinschaft Sterngartenodyssee: Knackige Kiste, korrekte Kost, faire Preise
Dreibeinig wie ein Hühnerfuß ist eine, eine andere hat zwei schmale Beine und sieht elegant aus wie eine Ballerina. In einem normalen Supermarkt bekommt man solche Karotten selten zu Gesicht. Die zweibeinige Möhre packt Catrin Markau in ihre Kiste, auf große rote Zwiebeln, blaue Kartoffeln, Sellerie und Rote Bete.
Es ist die Ration, die die 45-Jährige derzeit alle zwei Wochen im Friedrichshainer Bioladen Wurzelwerk abholt, im Sommer wird wöchentlich geliefert. Sie ist Mitglied der Sterngartenodyssee, einer Versorgungsgemeinschaft für biologisch angebautes Obst, Gemüse und Saft. In neun Berliner Abholstationen können die rund 85 Teilnehmer dann abholen, was auf Höfen zwischen Potsdam, Leipzig und Halle geerntet wurde. Solidarische Landwirtschaft, kurz Solawi, heißt das Prinzip, bei dem sich eine Gruppe Konsumenten zusammenschließt, um Landwirten verbindlich und zu fairen Preisen die Ernte abzunehmen.
Die leckersten Tomaten
„In der Kiste ist immer das, was gerade da ist, und was verbraucht werden muss. Da muss man manchmal improvisieren“, beschreibt Catrin Markau. So gab es im Sommer einen großen Strauß Basilikum und daraus Pesto, Basilikumessig und -öl. Bei ihr zu Hause lagern noch fünf Kürbisse, Salat bringt sie oft mit ins Büro. Die Mengen an Gemüse zu verarbeiten, sei eine sportliche Herausforderung, erzählt sie. „Das Leben verändert sich durch Solawi, die Konzentration geht in Richtung Essen.“
Markau hat die Friedrichshainer Gruppe vor etwa einem Jahr gegründet. Donnerstags kommt sie beim Bioladen, in dem die Übergabe stattfindet, vorbei und wiegt ihren Anteil am Gemüse ab. 80 Euro kostet das im Monat, bei Markau essen ihr Freund und ihre Tochter mit. „40 Euro für die Portion heute ist schon nicht wenig“, sagt Markau. Und man müsse auch Abstriche machen, so sei die Rote Beete nun mal von Mäusen angenagt. Aber die Vorteile überwiegen für die Betriebswirtin, die im Umweltbereich arbeitet: „Ich will nicht nur Konsumentin sein und will wissen, wo mein Gemüse herkommt.“
Kunden gehen selbst auf Ernte- und Ausliefertour
Eine der Landwirtinnen, die die Sterngartenodyssee beliefert, hat sie schon kennengelernt. Auf einem Demeter-Hof bei Leipzig war Markau mit bei einem Ernteeinsatz. „So leckere Tomaten habe ich noch nie gegessen“, schwärmt sie. Die Arbeitseinsätze sind Teil der Solawi. Jeder sollte drei Tage im Jahr mit auf Ernte- und Ausliefertour gehen. Das heißt, morgens früh um sechs die Höfe abzufahren, ernten, jäten und Obst und Gemüse nach Berlin karren. Das gehe oft bis spät in die Nacht. Erst dann erfahren die Mitglieder per E-Mail, was sie am nächsten Morgen in ihrer Abholstation finden.
„Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich erst einmal mitgefahren bin“, erzählt Markau. Sie hatte gerade einen neuen Job angefangen und musste sich für den Tag Urlaub nehmen. „Man wird nicht zur Arbeit verdonnert. Das wäre für mich ein Ausschlusskriterium“, meint sie. Ihre Gruppe, die aus sieben Mitgliedern besteht, sei etwas träge: „Wir haben einfach alle wenig Zeit“.
Das Problem kennt auch Simon Junge, der die Sterngartenodyssee gegründet hat. Zusammen mit einem Kollegen organisiert er die Solawi, die einzelnen Gruppen in den Stadtteilen verwalten sich selbst. „Auch Ökos haben viel um die Ohren und sind abends erschöpft“, erzählt der 36-Jährige. Für viele sei die Selbstverwaltung ungewohnt. Für ihn geht es bei der Solawi nicht um ein Gemüseabo, sondern um eine alternative Form des Wirtschaftens, bei der es allen Beteiligten gut geht. „Die ungerechten Strukturen, die wir im normalen Wirtschaftsleben doof finden, wollen wir vermeiden.“ Zugleich müsse man selbst wirtschaftlich arbeiten, das sei eine anspruchsvolle Aufgabe.
Enormes Wachstum
Davon profitierten die Landwirte, die ihre Ernte nicht an den anonymen Großhandel abgeben, sondern die Menschen treffen, bei denen die Möhren auf den Teller kommen. Und dafür Wertschätzung und finanzielle Sicherheit erhalten.
Die Gruppenteilnehmer haben ein Mitspracherecht, was angebaut wird und können mit eigenen Augen sehen, wo ihr Essen herkommt. „Kauft man etwas im Laden, dann sind Fotos und Sprüche auf der Verpackung, die mit der Herkunft der Produkte nichts zu tun haben“, meint Junge.
Der Wunsch nach Transparenz und fairen Produktionsbedingungen nimmt zu: „2004 habe ich das erste Mal von Solawi gehört, in den vergangenen vier Jahren ist es enorm gewachsen“, erzählt er. Mit ihren 45 Jahren sei sie eine der älteren Teilnehmer, erzählt Catrin Markau. Viele seien in ihren Zwanzigern und äßen vegan.
Dann verstaut sie rund 13 Kilo Gemüse in ihren beiden Fahrradtaschen, dazu noch mehrere Flaschen Apfelsaft. Wackelig, aber sehr zufrieden fährt sie nach Hause.