Viele Mieter kündigen Neubauwohnungen bei landeseigenen Vermietern in Berlin

Fluktuation im Neubau ist fast doppelt so hoch wie im Bestand. Was treibt die Menschen so schnell aus dem neuen Berliner Zuhause?

Wohnungsneubauprojekt der landeseigenen Gesobau in Reinickendorf
Wohnungsneubauprojekt der landeseigenen Gesobau in Reinickendorfdpa/Christoph Soeder

Neubauwohnungen in Berlin sind begehrt, sollte man meinen. Doch eine aktuelle Auswertung zur Kündigung von Neubauwohnungen bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen wirft Fragen auf. Danach lag die Fluktuation im Neubau, also die Auszugsquote, mit durchschnittlich 9,4 Prozent im vergangenen Jahr fast doppelt so hoch wie in den Bestandswohnungen (4,8 Prozent). Die Suche nach den Gründen gestaltet sich schwierig.

Auf die Frage, wie die hohe Fluktuation im Neubau zu bewerten und zu erklären ist, reagieren einige landeseigene Unternehmen auffällig schmallippig. Die Degewo, bei der die Auszugsquote im Neubau mit 12,9 Prozent am höchsten ist, antwortet, dass die Fluktuation „grundsätzlich wirtschaftlich unbedenklich“ sei. Einen Erklärungsversuch zu den Gründen unternimmt die Degewo nicht. Auf die Frage, wie Mieter den Auszug aus dem Neubau begründen, lässt die Degewo wissen, dies werde „weder abgefragt noch erfasst“.

Zum Vergleich: In den Bestandswohnungen liegt die Fluktuationsrate bei der Degewo mit 5,3 Prozent nicht mal halb so hoch wie im Neubau. Ähnlich wie die Degewo äußert sich die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, bei der sich die Fluktuation im Neubau auf 8,3 Prozent beläuft. „Eine Fluktuation in Höhe von 8,3 Prozent bewerten wir nicht negativ“, teilt eine Sprecherin mit.

Mieterwechsel kann teuer werden

Klar ist: Jeder Mieterwechsel bedeutet für ein Unternehmen einen erhöhten Aufwand. Im besten Fall erfolgt die Wiedervermietung übergangslos. Im schlechtesten Fall steht die Wohnung so lange leer, bis ein neuer Mieter einzieht. Womöglich fallen sogar Ausgaben für eine Renovierung oder Reparaturen an.

Wichtig zum Verständnis: Wohnungen im Neubau sind besonders teuer, solange man nicht gerade eine vom Land Berlin geförderte Sozialwohnung für 6,50 Euro je Quadratmeter Wohnfläche beziehen kann. Die durchschnittliche Miete im frei finanzierten Neubau lag bei den sechs landeseigenen Unternehmen im vergangenen Jahr zwischen 10,06 Euro je Quadratmeter Wohnfläche bei der Gesobau und 10,83 Euro je Quadratmeter bei der Gewobag (kalt). Zum Vergleich: Für Bestandswohnungen bezahlten die Mieter der landeseigenen Unternehmen im vergangenen Jahr nur durchschnittlich 6,29 Euro pro Quadratmeter, also in etwa 60 Prozent des Mietniveaus im frei finanzierten Wohnungsneubau.

Die Gesobau, bei der die Fluktuation im Neubau bei zehn Prozent liegt, erklärt, dass sich Wohnungssuchende und vor allem Berlin-Zuzügler vornehmlich für Neubauten registrieren lassen – weil bei Neubauprojekten anders als im Bestand „zeitgleich eine relativ hohe Stückzahl von Wohnungen in die Erstvermietung“ komme. Aufgrund der angespannten Marktsituation würden Wohnungsangebote von Mietinteressenten dann angenommen, zum Teil suchten die Mieter aber nach dem Einzug parallel eine für ihre persönlichen Belange noch besser geeignete Wohnung. Dies nehme die Gesobau zum Beispiel „in Randlagen“ Berlins wahr, so eine Unternehmenssprecherin. Die Gesobau erhebe die Umzugsgründe nicht systematisch, doch würden „zum Beispiel Veränderungen der Lebenssituation wie Jobwechsel, Familiengründung oder Trennung und in dem Zusammenhang die Größe der Wohnung“ genannt.

Manche Unternehmen vereinbaren in Verträgen eine Mindestmietzeit

Ähnlich äußern sich Howoge (9,8 Prozent Neubau-Fluktuation), Gewobag (6,1 Prozent) und die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (5,4 Prozent). „Wir vermuten, dass einige Interessenten sich angesichts der angespannten Wohnraumsituation relativ schnell für eine Neubauwohnung entscheiden, um erst einmal unterzukommen“, so eine Howoge-Sprecherin. Dann würden sich diese Mieter jedoch weiter nach einer Wohnung umsehen, die noch besser zu den persönlichen Lebensumständen passe.

Experten aus der Wohnungswirtschaft sehen unterdessen noch andere Gründe. Gerade die Neubauwohnungen seien oftmals so geschnitten, dass „möglichst viele Zimmer auf wenig Fläche“ untergebracht werden – auch um die Flächenvorgaben für einen Wohnberechtigungsschein zu erfüllen, der für eine Sozialwohnung benötigt wird. Dabei würden mitunter „enge“ und „sehr kleine Zimmer“ entstehen. Mieter, die solche Wohnungen bezögen und dafür viel Miete zahlen müssten, stellten dann später vielleicht fest, dass andere Unterkünfte doch besser geeignet seien. In Kiezen mit sozial schwieriger Nachbarschaft könnte der Wunsch nach einem Auszug womöglich noch bestärkt werden. Die Frage sei, ob die Fluktuation weiterhin so hoch bleibe. Dann entstehe auch ein finanzieller Schaden.

Um Mieter nicht gleich wieder zu verlieren, haben einige der städtischen Vermieter Vorsorge getroffen. Die Gesobau hat nach eigenen Angaben „eine Mindestmietdauer von einem Jahr eingeführt“, die in Ausnahmefällen aber entfalle, wie die Sprecherin erklärt. Bei der Degewo gibt es nach Angaben eines Sprechers „im Regelfall einen Kündigungsausschluss von einem Jahr für alle neuen Verträge in Bestand und Neubau“. Die Howoge vereinbart mit Neumietern sogar „generell einen Kündigungsausschluss für zwei Jahre“. Für den Fall des vorfristigen Auszugs „aus nachvollziehbaren Gründen“ würden aber „individuelle Lösungen“ mit den Mietern gefunden, so die Howoge. Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) vereinbart nach eigenen Angaben bereits seit 2018 im Rahmen der Erstvermietung in ihren Neubauten eine Mindestmietdauer von einem Jahr. Seit 2020 gilt dies auch für den Bestand und die Wiedervermietung der Neubauten.

Die Gesobau setzt noch auf andere Maßnahmen. Sie fördert gleichzeitig „die Kommunikation“ mit Mietern und der Mieterschaft untereinander, so die Unternehmenssprecherin – „um die Nachbarschaft und Gemeinschaft zu stärken“.