Vier Frauen, viermal Fortschritt – ein unfeministischer Beitrag zum Frauentag
Bis 2023 dauerte es, bis eine Dresdnerin per Grundsatzurteil gleichen Lohn für gleiche Leistung erstritt. Drei bemerkenswerte Berlinerinnen bereiteten den Weg.

Susanne Dumas: „Lasst euch niemals die Butter vom Brot nehmen!“
Den größten Fortschritt für die Frauenrechte in jüngerer Zeit erkämpfte keine Frauenministerin, Gleichstellungsbeauftragte, keine feministische Aktivistin oder Genderpionierin, sondern eine bodenständige Frau aus Dresden. Die 44 Jahre alte Diplomkauffrau Susanne Dumas wollte einfach fair von ihrem Arbeitgeber, der Meißner Metallbaufirma Photon Technologies, behandelt werden und gleiches Geld für gleiche Arbeit erhalten. Unterstützung kam von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), nicht von feministischer Seite.

Das Grundsatzurteil weist den Weg für viele, die nun mit guten Aussichten auf Erfolg das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit einfordern können.
Dumas hatte durch Zufall erfahren, dass ein Kollege für die gleiche Arbeit deutlich mehr Geld bekam. Vier Jahre kämpfte sie sich durch alle Instanzen, schlief schlecht, hielt durch. Am 16. Februar 2023 fällte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt ein Grundsatzurteil, das alles Potenzial in sich trägt, um die Lohn- und Gehaltslandschaft umzukrempeln und die oft bejammerte Gehaltslücke zu schließen. Die Vorsitzende Richterin Anja Schlewing erkannte eine Diskriminierung wegen des Geschlechts, weil im Fall Dumas Mann und Frau offensichtlich für gleiche Arbeit unterschiedlich bezahlt wurden. Die Begründung des Arbeitgebers, der Mann habe eben geschickter verhandelt, wischte sie vom Tisch und sprach der Klägerin etwa 17.000 Euro Nachzahlung zu.
Ein historischer Durchbruch nach jahrzehntelanger Verschleppung in der BRD: Theoretisch spricht das Grundgesetz seit 1949 Frauen gleiche Rechte zu, und in der Europäischen Union gilt seit 1957 die Equal-Pay-Vorgabe. Ehemalige DDR-Bürgerinnen werden die Wiederherstellung von Frauenrechten erkennen. In der DDR waren Löhne und Gehälter öffentlich. Transparenz ermöglichte Vergleich und Prüfung.
Laut Statistischem Bundesamt klaffte im Jahr 2022 eine Bezahllücke von bundesweit durchschnittlich 18 Prozent; selbst wenn Ausbildungsunterschiede und Ähnliches herausgerechnet werden, liegt die Lücke noch bei sieben Prozent. Allerdings ist sie im Osten wesentlich kleiner als im Westen und in manchen Gegenden, wie zum Beispiel in Dessau, verdienen Frauen im Durchschnitt mehr als Männer.
Dumas’ Rechtsanwältin Susette Jörk sagte nach dem Urteil, der Durchbruch sei nach jahrelangem vergeblichem Warten auf Fortschritte durch Gesetz- und Arbeitgeber „der Ausdauer einer mutigen Frau zu verdanken, die den Rechtsweg nicht gescheut hat“.
Für die Töchter
Und Dumas, die Hunderttausenden Frauen den Weg zu mehr Gerechtigkeit eröffnet hat, sagte: „Seit 1949 steht es im Grundgesetz, heute ist es endlich in der Arbeitswelt angekommen: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Ich widme diesen Erfolg meinen beiden Töchtern und stellvertretend allen Frauen in Deutschland. Seid mutig, seid laut und lasst euch niemals die Butter vom Brot nehmen!“
Caroline Eichler: Mit Prothesen als erste Frau zum preußischen Patent
Mutig, unverdrossen, kreativ und durchaus geschäftstüchtig ging vor 200 Jahren eine andere Frau ihr Leben an: Caroline Eichler, Bandagistin, Feinmechanikerin und Konstrukteurin. Sofern der Zeichner ihres Porträts ihr Wesen gut getroffen hat, sieht man: Wer mit dieser Frau zu tun hatte, nahm sie besser ernst.

Als erste Frau erhielt sie auf ihre Prothesenentwicklung ein preußisches Patent.
Nach den Jahren der großen Reformen herrschte in Preußen der Geist des restaurativen Stillstands. Genau in dieser Zeit, 1832, hatte die 24-jährige Eichler eine Beinprothese mit beweglichem Kniegelenk vorgestellt und dafür am 23. November 1833 als erste Frau in Preußen Patentschutz erhalten. Ein unglaublicher Vorgang. Es folgten Patente für das Russische Reich und 1835 auch für das Königreich Bayern. Um das Marketing kümmerte sich die Konstrukteurin selber: In einer im Eigenverlag herausgegebenen Schrift erläuterte sie Funktion der Prothese.
Da ihre Konstruktionen funktionierten, fanden sie in der Fachwelt Anerkennung. Johann Friedrich Dieffenbach, Leiter der Chirurgie an der Berliner Charité, setzte die Eichler’sche Fußprothese bei einem seiner Patienten ein und lobte die Funktionstüchtigkeit ausdrücklich. Daraufhin entwickelte Eichler die erste wirklich brauchbare künstliche Hand und erhielt am 24. November 1839 dafür ein weiteres preußisches Patent.
In ihren Prothesen entwickelte sie alle bis dahin bekannten Konstruktionen weiter. Mehrere Jahrzehnte dienten sie im deutschsprachigen Raum als Vorbild und Standard. Als „Verfertigerin künstlicher Füße und Hände“ wirkte Eichler weiterhin in Berlin. Doch der Spott blieb nicht aus. Er traf gebildete Frauen, die sich in die Öffentlichkeit wagten und zugunsten einer geistigen oder geschäftlichen Tätigkeit angeblich typische weibliche Eigenschaften vernachlässigten. Sie galt als „Blaustrumpf“.
Am Ende ein Femizid
Geboren wurde sie 1808 (wahrscheinlich im thüringischen Nordhausen, vielleicht aber in Berlin) als Tochter eines Malers. Über ihre Kindheit ist kaum etwas bekannt – außer dass sie als Kindermädchen bei einer Familie als Krankenpflegerin arbeitete und sich für Physik und technische Mechanik interessierte. Als Konstrukteurin kamen ihr die Erfahrungen aus der Krankenpflege zugute; sie achtete sehr darauf, dass ihre Prothesen leicht anzulegen und deren Gebrauch leicht zu erlernen war.
Ihre Ehe verlief fatal: Am 30. Oktober 1837 heiratete sie den sieben Jahre jüngeren Mechaniker Carl Friedrich Eduard Krause aus Bielefeld, ließ sich jedoch bald wieder scheiden. Immer wieder erpresste Krause von ihr Geld. Laut Kriminalbericht kam es zu erbittertem Streit. Am 6. September 1843 tauchte Krause in ihrer Wohnung auf und ermordete sie mit einer zugespitzten Feile.
Fanny Lewald: Schreiben für die Selbstständigkeit der Frau
Zum klugen Frauenzimmer wurde auch Fanny Lewald, 1811 als ältestes von zehn Kindern jüdischer Eltern in Königsberg geboren. Voller Wissensdurst setzte sie sich gegen den Vater-Patriarchen durch: Sie besuchte eine gute Privatschule, konvertierte mit 19 Jahren zum Protestantismus, begrüßte den Namenswechsel der Familie vom jüdisch klingenden Marcus zu Lewald, verweigerte die Heirat mit einem vom Vater bestimmten Mann und trotzte ihm die Erlaubnis zum Bücherschreiben ab – wenn auch unter Pseudonym. Den Kompromiss ertrug sie nur über einige – erfolgreiche – Bücher hinweg. Sie zog in eine eigene Wohnung in Berlin, erlebte die 1848er-Revolution, unternahm Reisen, lernte Heinrich Heine und Ludwig Börne kennen und 1846 in Rom ihren späteren Mann, den sie 1855 in Berlin heiratete.

Als Kämpferin für Frauenrechte in Berlin betonte sie den Wert der Bildung als Voraussetzung für eine bezahlte Tätigkeit.
Und sie schrieb Dutzende Werke – von Märchen über Romane bis zu politischen Schriften. Lewald führte den Frauenroman in die deutsche Literatur ein, wurde zur meistgelesenen Schriftstellerin. Der Erfolg erlaubte ein unabhängiges Leben. Seit dem 23. Januar 1913 trägt eine Straße in Prenzlauer Berg ihren Namen: Lewaldstraße, leider fehlt der Vorname Fanny.
Feministinnen fassen diese Frau mit spitzen Fingern an – für ihren Geschmack übte sie zu wenig Kritik an Männern. Sie sah in ihnen trotz des Leidens am Patriarchat Partner, nicht Gegner. Das brachte ihr von feministischer Seite den Vorwurf ein, nicht die Wurzel aller Übel, den Mann, erkannt zu haben.
Am besten, Sie machen sich selbst ein Bild, Lewald hat genug geschrieben, in klaren, engagierten Sätzen, zum Beispiel im 1870 in Berlin erschienenen Buch „Für und wider die Frauen“, nachzulesen digital im Deutschen Textarchiv. Zu einem ihrer wichtigsten Themen gehörte „Die Berechtigung der Frauen zur Selbstständigkeit und zu selbstständigem Erwerbe“.
Heirat als Verkauf
Höchsten Rang gab sie der Bildung und beklagt das Fehlen einer „gründlichen wissenschaftlichen Bildung ebenso wie eine solide Anleitung für praktische Thätigkeit“. Sie schreibt: „Ich hielt es nämlich von jeher für geboten, dass man die Frauen in einer Weise erziehe und unterrichte, welche es ihnen möglich mache, sich selber ausreichend zu ernähren, um sie damit vor der entehrenden Nothwendigkeit zu sichern, sich ohne Neigung zu verheirathen, oder mit anderen Worten, die die Sache bei ihrem rechten Namen nennen, sich für den Preis einer lebenslänglichen Versorgung zu verkaufen.“
Jungen Frauen legt sie ans Herz, „tagüber in einem Gewerbe zu arbeiten, um abends das unschätzbare Gefühl der Selbstständigkeit zu genießen und sich sagen zu können, dass sie sich mit ihrer Gewerbthätigkeit wohl am Ende ein sorgenfreies und völlig unabhängiges Leben erringen könnten“.
Helene Herrmann: Wissenschaftlerin von „heroischer Wahrhaftigkeit“
Der Stolperstein für Dr. Helene Herrmann, geborene Schlesinger, liegt in der Augsburger Straße 42 in Berlin-Charlottenburg. Dort hatte die Literaturwissenschaftlerin und Lehrerin gemeinsam mit ihrem Mann Max Herrmann, seit 1903 Professor an der Berliner Universität und Begründer der deutschen Theaterwissenschaft, 30 Jahre lang gelebt. Es waren ihre besten Jahre. Sein Stein liegt neben ihrem. Er starb bald nach der Deportation 1942 in Theresienstadt, sie 1944 in Auschwitz.

Eine akademische Karriere war ihr noch nicht möglich, aber ihre wissenschaftlichen Schriften, die sie neben ihrer Arbeit als Lehrerin publizierte, fanden höchste Anerkennung. Sie wurde in Auschwitz ermordet.
Vera Lachmann, eine ihrer Schülerinnen, schrieb über Herrmann: „Ach, wie sie den Vorhang fortziehen konnte von Welten – was wäre ich ohne sie geworden, die mir Goethe und Wolfram, Hölderlin und George schenkte …“ Vera Lachmann entkam in die USA und wurde dort Professorin. Sie beschrieb ihre Lehrerin als „unvergleichliche Pädagogin“, die sich „ihrer genialen Begabung“ in ihrer Bescheidenheit gar nicht bewusst gewesen sei. „Ihre Lebenshaltung war von einfachstem Stil und fern von jedem akademischen und kulturellen Snobismus.“ Diese Frau „von schüchterner Zartheit und heroischer Wahrhaftigkeit“ schickten ihre deutschen Landsleute als 67-Jährige in die Gaskammer.
Geboren wurde Helene Schlesinger am 9. April 1877 als Tochter jüdischer Eltern in der Mohrenstraße 37. Mädchen durften noch keine Gymnasien besuchen, doch die Pädagogin Helene Lange bot in Schöneberg Gymnasialkurse an. Zehn Jahre bevor sich Frauen an der Friedrich-Wilhelms-Universität regulär immatrikulieren konnten, begann Helene 1898 als Gasthörerin Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte zu studieren. 1904 wurde sie als erste verheiratete Frau in Deutschland promoviert und zwar mit der Arbeit „Die psychologischen Anschauungen des jungen Goethe und seiner Zeit“.
Theodor Fontanes mangelnder Sinn für Feierlichkeit ist nun erkannt und beschrieben – am schönsten von einer Frau, Helene Herrmann.
Wie den anderen Frauen der ersten Uni-Generation stand ihr bei aller Brillanz eine akademische Laufbahn nicht offen. So wurde sie Lehrerin für Deutsch, Latein und Französisch, schließlich Gymnasialdirektorin, zudem publizierte sie wissenschaftlich. Für ihre literarische Rezension erhielt sie Anerkennung von höchster Warte. Thomas Mann pries ihre Erkenntnisse über Theodor Fontane. Dessen „mangelnder Sinn für Feierlichkeit“ sei nun erkannt und beschrieben – „am schönsten von einer Frau, Helene Herrmann“.
1933 trafen die NS-Schikanen das Paar. Beide verloren Arbeit und ihre Wohnung, zogen in eine kleine Mietwohnung, schließlich zu Helene Herrmanns Schwester, Käthe (Katharina) Finder, nach Charlottenburg. Helene Herrmann unterrichtete privat jüdische Kinder. Eine Flucht ins Exil kam nicht zustande, weil für gleich drei Personen die Papiere nicht zu erlangen waren und eine Ausreise ohne ihre Schwester nicht infrage kam. In der DDR wurden Helene Herrmanns Werke neu verlegt, ebenso die von Max Herrmann. Im Westen blieben sie unbeachtet.