Vietnamese in Berlin entführt: Fünf Jahre Haft für Helfer
Mitten in Berlin werden 2017 ein vietnamesischer Ex-Manager und seine Freundin entführt. Fünfeinhalb Jahre später fällt nun ein zweites Urteil in dem Fall.

Bevor Ralf Fischer, der Vorsitzende Richter des 8. Strafsenats des Berliner Kammergerichts, rund 90 Minuten lang die Urteilsverkündung verlesen wird, sagt er diesen Satz: „Was wie der Plot eines eher mäßig realistischen Thrillers klingt, hat sich am 23. Juli 2017 tatsächlich ereignet.“ Gerade eben hatte Fischer den Angeklagten Anh Tu L. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung in zwei Fällen zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt – so wie von der Bundesanwaltschaft gefordert. Die Verteidiger hatten Freispruch gefordert.
Mit der Entscheidung endet der Prozess gegen einen Mann, der laut Gericht an der spektakulären Entführung des in seiner Heimat in Ungnade gefallenen vietnamesischen Geschäftsmannes Trinh Xuan Thanh vor fünfeinhalb Jahren beteiligt war. Schon 2018 war ein Tatbeteiligter zu einer Haftstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Die Tat, so sagt es Fischer, habe die Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam nachhaltig erschüttert.
Aufmerksam folgt der Angeklagte Anh Tu L. den Worten des Vorsitzenden Richters, die Dolmetscher für ihn übersetzen. Er sieht viel jünger aus, als er mit seinen 32 Jahren ist. Zur Tatzeit lebte er in Prag, er war 26 und damit der jüngste bekannte Tatbeteiligte, wie Fischer sagt.
Das Opfer Trinh Xuan Thanh, genannt TXT, gehörte einst zum westlich orientierten Reformflügel der Kommunistischen Partei Vietnams, war Vorstandschef eines staatlichen Unternehmens, sollte Vizeindustrieminister werden. Als sich Ende 2015 die konservativen Kräfte der KP durchsetzten, endete seine Karriere. TXT wurden schwerwiegende Fehler und Veruntreuung unterstellt. Seine Verhaftung drohte.
Das Martyrium des Tatopfers und seiner von ihm getrennten Angehörigen dauert an.
Es sei ein Versuch gewesen, die Reform-Anhänger zu diskreditieren, sagt der Richter. An Trinh Xuan Thanh habe man ein Exempel statuieren wollen. 2016 floh TXT nach Deutschland, wehrte sich in einem offenen Brief gegen die Vorwürfe, griff darin Vietnams Ministerpräsidenten an und trat aus der Partei aus. In Berlin beantragte er erfolgreich politisches Asyl.
Da Bemühungen der vietnamesischen Seite um seine Auslieferung erfolglos geblieben seien, habe sich der vietnamesische Minister für öffentliche Sicherheit in Absprache mit dem Geheimdienst dazu entschlossen, Thanh entführen zu lassen, sagt Fischer.
Trinh Xuan Thanh und seine Geliebte wurden am 23. Juli 2017 gewaltsam in ein Mietfahrzeug gezerrt. Zeugen alarmierten die Polizei und notierten das Kennzeichen des Vans. Es wurde Ausgangspunkt der Ermittlungen, durch die die Tat unter anderem anhand von Handy- und GPS-Daten fast minutengenau aufgeklärt werden konnte.
Die Verschleppten wurden auf das Gelände der vietnamesischen Botschaft in Berlin-Treptow gebracht, die Frau mit zwei Bewachern nach Vietnam zurückgeflogen. TXT jedoch musste auf geheimem Weg aus dem Schengenraum gebracht werden. Er wurde – vermutlich vollgepumpt mit Drogen – im Diplomatenwagen ins tschechische Brno gefahren, von dort mit einem Prager Mietfahrzeug in die slowakische Hauptstadt Bratislava gebracht.
Mitten in der deutschen Hauptstadt wird ein vietnamesischer Geschäftsmann vom Geheimdienst Vietnams am helllichten Tag auf offener Straße ergriffen und nach Vietnam verschleppt.
Dort schleuste man TXT unter falschem Namen in eine Delegation des vietnamesischen Ministers für öffentliche Sicherheit ein, der zu einem auffallend kurzen Arbeitstreffen in Bratislava weilte. So konnte Thanh als zwölftes Mitglied der Delegation problemlos ausreisen.
Bei der Tat habe der Angeklagte bewusst mitgewirkt, wenn auch in hierarchisch untergeordneter Stellung, sagt Fischer. So habe Anh Tu L. das Fahrzeug gefahren, in das der Geschäftsmann und seine Geliebte am Tiergarten gezerrt worden seien. Auch saß er am Steuer jenes Wagens, der das Opfer von Brno nach Bratislava transportierte.

Trinh Xuan Thanh wurde in Vietnam in zwei Verfahren zu jeweils lebenslanger Haft verurteilt. Er befindet sich noch immer in Haft. Petra Schlagenhauf, die Anwältin des Verschleppten, sagt nach dem Prozess, die Richter hätten ein „sehr sorgfältiges Urteil“ gesprochen. Erledigt sei für sie der Fall jedoch erst, „wenn mein Mandant die Gangway in Schönefeld herabsteigt“.
