Von den Insassen der JVA Neuruppin-Wulkow gibt es einen Podcast

Als Martin von der Polizei auf der Straße festgenommen wird, ist auch sein kleiner Sohn bei ihm. Und der Junge fragte die Mutter später, ob der Papa böse gewesen sei.

„Das schmerzt natürlich ganz schön“, erzählt Martin, der derzeit in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow (Ostprignitz-Ruppin) einsitzt. Martin erzählt auch, dass er Drogen verkauft habe, um Geld zu verdienen. Doch diese Wahrheit könne er seinen jüngeren Kindern, zwei und sechs Jahre alt, einfach nicht sagen. „Im Moment erzählt meine Frau den Kindern, dass ich im Krankenhaus bin.“

So erzählt es der Häftling in dem Podcast „Ruppich“, dessen Pilotfolge in diesem Gefängnis in Nordbrandenburg produziert wurde.

Bei dem Projekt haben die Gefangenen sich gegenseitig interviewt und ihre Erzählungen und Dialoge zu einer Audiodatei zusammengeschnitten, die im Internet angehört werden kann und am ersten Weihnachtstag im Radio gesendet wird. Sie wollen Einblicke in eine Welt ermöglichen, die den meisten Menschen verschlossen bleibt. Mit diesem „Sound aus dem Knast“ wollen sie die Menschen draußen erreichen und Vorurteile abbauen.

Das Thema "Beziehungen" ist sensibel

Seit Oktober haben sich sechs Gefangene einmal die Woche für drei Stunden getroffen und eine rund halbstündige Folge zum Thema „Beziehungen“ produziert, die intime Informationen über das Leben im Knast liefert. Geleitet wurde das Projekt von der Medien- und Theaterpädagogin Kirsten Mohri und dem Filmemacher Daniel Abma vom Berliner Medienbildungs-Verein Metaversa.

Die beiden haben schon früher mit Gefangenen der JVA Wriezen (Märkisch-Oderland) Filme gemacht. Daniel Abma wurde für seinen eigenen Dokumentarfilm „Nach Wriezen“ (2012) mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Die Idee, ein Audio-Projekt zu starten, kam bei Anstaltsleiter Wolf-Dietrich Voigt, den Abma und Mohri schon aus Wriezen kannten, gut an.

Mit dem Podcast soll es raus in die Welt gehen

„Radiopodcast – da konnte sich keiner vorstellen, was das ist“, erzählt einer der Teilnehmer. Anfangs seien die Häftlinge sehr skeptisch gewesen. Davon ist nun nichts mehr zu spüren. Innerhalb weniger Wochen entwickelten sie nicht nur die technischen Fähigkeiten, sondern auch den Mut, ihre Geschichten zu erzählen – und das Ergebnis nun in der JVA vorzustellen. Sechs Männer sitzen im Halbkreis, sportlich gekleidet, muskulös, tätowiert – und sichtlich nervös.

Neben ihnen ein geschmückter Weihnachtsbaum, vor ihnen andere Gefangene, Vertreter von Arbeiterwohlfahrt und Jobcenter sowie Journalisten und Politiker – darunter auch der Landtagsabgeordnete und ehemalige Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke).

„Eine besondere Mischung“, kommentiert Alex bei seiner Begrüßung. „Willkommen in unserer Welt. So geht es uns jeden Tag. Wir teilen den Alltag mit Leuten, die wir sonst nie kennengelernt hätten.“ Erzwungene Nähe zu Fremden, während Freunde und Familie fehlen.

Hochzeit hinter Gittern feiern

In dem Podcast geht es um diese Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz. „Lieber keine Liebe hinter Gittern als eine falsche“, sagt einer der Gefangenen. „Ich suche mir draußen was.“

Jerry sieht das anders. Er hat im Gefängnis sogar geheiratet. Bevor er seinen Heiratsantrag machen konnte, wurde er inhaftiert. Seine Freundin wollte trotzdem. „Ich habe versucht, ihr das auszureden. Aber sie hat gesagt: Jetzt oder nie.“.

An dem Tag war er aufgeregt. Der Besucherdienst hatte den großen Raum in dem grauen, funktionalen Ensemble an der Bundesstraße geschmückt. Die Standesbeamtin kam herein, dann seine Frau. „Sie sah aus wie eine Prinzessin aus’m alten Märchen, die auf’m Schimmel daher geritten kommt.“

Gefeiert wurde mit Kaffee und Kuchen aus dem Automaten. „Wulkower Automatenbuffet“, sagt Jerry. Ein Kuss, dann war Schluss. „Die Hochzeitsnacht müssen wir leider auch noch nachholen.“

Das Gefängnis ist eine feindliche Umgebung

Die meisten Erzählungen sind weniger romantisch. Es geht um Momente, in denen die Gefangenen empfindlich sind. Ein sehr laut geöffnetes Türschloss etwa bedeute für sie Respektlosigkeit.

Die Nähe zu Bediensteten ist ein schwieriges Thema. Ist ein Händedruck erlaubt? „Ich denke, dass das für beide Seiten katastrophal enden kann“, sagt ein Häftling. Schnell geraten sie untereinander in Verdacht, sich Vorteile erschleichen zu wollen. Das gilt auch für Angebote wie das Podcast-Projekt.„Man darf einfach nicht vergessen, dass das hier eine feindliche Umgebung ist“, sagt einer. Der Tenor im Gefängnis laute: Alles ist schlecht – und wer mit der Einrichtung kooperiere, sei ein Idiot.

Unklar ist, wo der Weg hinführt

Es sei nicht leicht, sich mit der Teilnahme an einem solchen Angebot zu positionieren, sagt Anstaltsleiter Wolf-Dietrich Voigt, der den Podcast zum ersten Mal in voller Länge gehört hat. Er versichert: „Wir werden das Projekt auf jeden Fall fortsetzen.“ Dies sei ein Weg, die Anstalt zu öffnen und nicht nur Medien-, sondern auch soziale Kompetenz zu fördern.

„Ruppich“ setzt sich zusammen aus „Ruppin“ und „Ich“. Für ruppig, so heißt es im Podcast, halte man die Leute im Knast nun mal. Das Projekt zeigt, dass sie mehr sind: witzig, gefühlvoll, nachdenklich.

Nun überlegen sie, wie es weitergehen könnte: Sie würden gern in andere Gefängnisse und in Schulen gehen, mit Jugendlichen reden. „Damit sie keine Scheiße bauen und selber mal hier landen“, sagt einer.

Erstmal aber wünschen sie sich eine Möglichkeit, den Podcast anderen Gefangenen vorzuspielen, sagen Martin und Patrick. Sie halten ihre DVD in den Händen. Abspielen können sie diese nicht, Radio empfangen auch nicht. „Die anderen wissen ja gar nicht, was wir hier gemacht haben“, sagt Patrick.