Vorfall bei Aldi in Neukölln: Wer glaubt, dass es Rassismus gibt, wenn wir nicht filmen?
Bei Aldi in Neukölln ruft jemand das N-Wort, doch als der Streit eskaliert, sind alle gegen den Schwarzen. Es geht um Vorurteile und Macht, meint unsere Autorin.

An dem rassistischen Vorfall in einer Aldi-Filiale in Neukölln lassen sich verschiedene Aspekte von Rassismus aufzeigen: Es geht um Deutungshoheit. Es geht um das Vorurteil vom gefährlichen Schwarzen Mann. Letztendlich geht es auch darum, dass viele Menschen Rassismus lieber leugnen und wegschauen, so lange bis jemand filmt.
Prince Ofori teilte auf Instagram, wie sich eine Menschentraube um ihn bildete, der Filialleiter einen Karton auf ihn warf und die rassistische Fremdbezeichnung für Schokoküsse rechtfertigt. Um den Karton ging es in einem Strafverfahren an diesem Dienstag.
An dem Tag vor rund zwei Jahren war ein alter Mann einkaufen, er rief seinem Sohn zu, ob sie sich denn N***küsse gönnen sollten. Wahrscheinlich hat er den Schwarzen Mann gesehen, dann war es ein Machtspielchen nach dem Motto: „Wir nennen euch, wie wir wollen und du kannst nichts dagegen tun.“ Angenommen er hat ihn nicht gesehen, dann hätte er sich auch einfach entschuldigen können, als Ofori ihn darauf ansprach. Stattdessen sagte er, dass er sich die Verwendung des Wortes von ihm nicht verbieten lasse.
Prince Ofori wurde wütend. Damit entsprach er einem Klischee – dem des gefährlichen, starken, Schwarzen Mannes. Die Umstehenden bekamen Angst und schlossen sich zusammen, um die vermeintliche Bedrohung aus dem Laden zu drängen. Auf dem Video wirken sie wie ein Mob. Für die Menschen im Laden war sofort klar, wer hier Aggressor und wer das Opfer war, obwohl sie die Diskussion sicher nicht mitbekommen hatten.
Dann warf der Filialleiter einen Karton nach Ofori. Das macht man vielleicht, um eine Ratte zu verscheuchen, aber nicht, um einen Konflikt zwischen Kunden zu lösen. Auch wenn der Kunde keine Maske trug und eine kräftige Statur hat. Im Prozess zeigte Stephan P., dass er Konflikte gewöhnlich ähnlich angeht – gerade, wenn es um migrantische Kunden geht: Man müsse in Neukölln Arabern und Türken gegenüber laut werden, damit sie Respekt zeigen, sagte er.
Echten Respekt verdient man so wohl kaum. Aber darum geht es dem Angeklagten wahrscheinlich gar nicht. Es geht ihm – genau wie dem alten Mann – um Macht. „Wo steht geschrieben, dass man das Wort nicht mehr sagen darf?“, fragte er Ofori im Video. Eine weitere Provokation statt Deeskalation, obwohl Ofori zu dem Zeitpunkt bereits am Ausgang des Ladens war.
In einem weiteren Verfahren soll jetzt entschieden werden, ob das Video von Ofori online bleiben darf. Angenommen Prince Ofori hätte an diesem Tag nicht gefilmt – wer hätte ihm geglaubt? Vielleicht seine Frau. Vielleicht ein Schwarzer Freund. Aber die meisten Bekannten und die Öffentlichkeit hätten gar nichts dazu gesagt oder: „Das war bestimmt nicht so gemeint.“
Das zeigten auch die Reaktionen auf das Video im Netz: „Unglaublich“, ist ein Kommentar, der oft fiel. Rassismus in Deutschland? Für manche immer noch unglaublich. Umso wichtiger ist es, solche Vorfälle filmen und die Aufnahmen auch veröffentlichen zu dürfen. Vorausgesetzt man macht die Beteiligten vorher unkenntlich.