VW-Boykott in Berlin: "Von wegen: Das Auto"
Den silbernen Civic Honda parkt Peter Grottian ohne mit der Wimper zu zucken im absoluten Halteverbot. Der Politikprofessor ist es gewöhnt, Verbote zu übertreten und gleich wird er es wieder tun. Mit einer Gruppe Erstsemesterstudenten vom Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität ist er an der Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße verabredet. Sie werden gleich die Schaufenster des Volkswagen-Showrooms mit Boykott-Postern bekleben. „Von wegen: Das Auto“ steht darauf zu lesen, in Anlehnung an den Werbeslogan des Konzerns. „Boykottiert VW – bis alle Skandalkarten und ein Angebot für Entschädigungen auf dem Tisch sind!“
Ehre für Landowsky
Es ist die neueste Aktion des 74-jährigen Professors im Unruhestand. Seit 40 Jahren meldet er sich mit politischen Protesten in Berlin und anderswo zu Wort: Er ist in den 70er Jahren gegen Berufsverbote in Deutschland zu Felde gezogen und hat mit Schwarzfahraktionen gegen zu teure Tickets der Verkehrsbetriebe protestiert. Während des Berliner Bankenskandals Anfang der 2000er Jahre organisiert er „Spaziergänge“ zu dessen Profiteuren. Einem der Hauptbeteiligten des Skandals, dem CDU-Politiker Klaus-Rüdiger Landowsky, erweist Grottian Jahre später noch einmal die Ehre: Er benennt einen Preis nach ihm, mit dem er die Targobank auszeichnete – weil sie mit ihren horrenden Dispozinsen zu den gierigsten Kreditinstituten gehört. Jetzt ist der Volkswagen-Konzern dran.
Schon am Donnerstag hat er in einer Pressekonferenz nicht nur die VW-Verantwortlichen, sondern auch die IG Metall, den Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vorgeworfen, dass sie den Skandal seit fast 16 Monaten vertuschen. Mit kleinen Fischen gibt sich Grottian nicht ab, er sucht sich seine Gegner ausschließlich unter den Mächtigen. „Sie haben nichts aufgeklärt und alles gedeckelt“, sagt er. „Es gibt keinen Konzern, der einen derartigen Skandal so bräsig ausgessen hat wie VW“.
Die Studenten, die am Freitag die Plakate an den Schaufenstern ankleben, hat er in der Einführungsveranstaltung des OSI zu Beginn des Semesters angesprochen. Anders als der Professor haben Lea, Aljoscha und Viktor noch keine Erfahrungen mit derartigen Protestaktionen. Sie sind allesamt um die 20 Jahre alt und waren schon mal auf der einen oder anderen Demo. „Sonst nichts“, sagt Aljoscha und lacht.
„Bisher hat erst ein Kunde den Abgasskandal angesprochen“
Ein bisschen aufgeregt wirken die Studenten, als sie mit den vorbereiteten Plakaten auf die Schaufenster zugehen. Doch alle stellen sich geschickt an. In Sekundenschnelle klebt der Protest an den Scheiben und schon bleiben die ersten Passanten stehen und zücken ihre Handykamera. „Das ist super“, sagte einer von ihnen. Da sind die Studenten schon um die Ecke und „verschönern“ die nächste Glasfront. Im Inneren sind jetzt auch die Mitarbeiter des VW-Forums aufmerksam geworden.
Zwei von ihnen kommen nach draußen, tun aber so, als wollten sie nur eine Zigarette rauchen. Draußen geben sie sich betont cool. „Bisher hat erst ein Kunde den Abgasskandal angesprochen“, sagt einer von ihnen ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen. Die Plakate wollen sie hängen lassen, bis alle weg sind. Vielleicht warten sie aber auch nur auf ihre Vorgesetzten.
Auch Peter Grottian muss jetzt weiter, er hat am Abend noch einen Termin in der Urania. Dazu wurden die Geschädigten des VW-Skandals eingeladen, die sich zusammenschließen sollen. „Ich habe keine Ahnung, wie viele kommen werden“, sagt er mit der gleichen Gelassenheit wie er die schweren Vorwürfe gegen Banker, Politiker und Behörden formuliert. So konsequent er auch protestiert – aus der Rolle fällt Grottian nie. Im Gespräch zieht er manchmal die linke Augenbraue hoch, etwa wenn er erzählt, wie schwer es gewesen sei, diese Kampagne zu organisieren. Seit fünf Monaten ist er dabei alles auf die Beine zu stellen. Die Flyer und Plakate hat er bisher weitgehend auf eigene Rechnung drucken lassen. Ein paar Spenden hat er von Hochschullehrerkollegen eingesammelt. Es habe aber auch andere Schwierigkeiten gegeben. So hätten es viele Zeitungen abgelehnt, die Anzeige zu drucken, mit der er zum Protest und zum Zusammenschluss gegen den VW-Konzern aufrief.
Kaum Reaktionen aus der Politik
Auch bei den Politikern sei es bisher verdächtig still. Selbst von Grünen und Linken stünden Reaktionen noch aus. Er vermutet, dass es sich viele nicht mit dem Konzern verderben wollten. Der Autobau und Deutschland, das sei für viele ja ein und dasselbe. Von ganz linker Seite wiederum habe es Kritik gegeben, dass er nur gegen VW und nicht gleich gegen alle Autokonzerne zu Felde zieht.
Grottian lässt das kalt. Er hat schon das nächste Ziel vor Augen. In Berlin will er ein Netzwerk der sozialen Begegnungen in Gang bringen. Dazu sollen erst einmal alle Initiativen in der Stadt erfasst werden. „Niemand hat zur Zeit einen Überblick darüber“, sagt Grottian. Sobald es den gibt, will er eine Zusammenschluss der Initiativen vorantreiben, eine Art Lobby für die „Demokratie von unten“.