Wahlen in Berlin: Verfassungsänderung könnte AfD aus Bezirksämtern heraushalten

Ein AfD-Stadtrat, der auf der Sonnenallee in Neukölln eine Deutschpflicht einführt und Sozialhilfe für Flüchtlinge streicht? Ein AfD-Stadtrat, der in Marzahn-Hellersdorf Beratungsstellen für schwangere Teenager schließt und die Heirat von Homosexuellen erschwert?

Prognosen zwischen 8 und 15 Prozent

Was noch unvorstellbar klingt, könnte nach den Wahlen am 18. September zumindest denkbar sein. Wie stark die AfD wirklich abschneiden wird, ist schwer vorauszusagen. Je nach Meinungsforschungsinstitut liegt die Partei derzeit zwischen 8 und 15 Prozent auf Landesebene. Doch in einzelnen Bezirken dürfte die AfD wesentlich mehr Stimmen ergattern. Was das bedeutet, wird den Politikern der etablierten Parteien langsam bewusst, je näher der Wahltermin rückt.

Die AfD hat in mehreren Gegenden die Chance, einen der einflussreichen wie gut dotierten Stadtratsposten zu ergattern. Denn die Posten werden proportional nach Fraktionsstärke verteilt. Besonders aufmerksam beobachten die Politiker in Marzahn-Hellersdorf, Neukölln, Lichtenberg und Reinickendorf die Stimmungslage. Im Norden von Marzahn und in den Plattenbaugebieten von Hellersdorf könnte die Partei nach Schätzungen von Beobachtern auf 20 bis 25 Prozent kommen.

Möglicher AfD-Stadtrat in Neukölln

In Neukölln könnte die AfD wohl einen Stadtrat stellen, wenn sie ein zweistelliges Ergebnis einfährt. An den Wahlstände begegnet der CDU-Bürgermeisterkandidat Falko Liecke vielen Frustrierten, Nostalgischen und Genervten, die mit der Wahl der AfD drohen, um den etablierten Parteien einen so genannten Denkzettel zu verpassen. Liecke: „Die Leute sind sehr unzufrieden, haben den Eindruck, dass die Politik keine Probleme lösen kann.“

Falko Liecke rechnet damit, dass die SPD, erstmals ohne ihr Maskottchen Heinz Buschkowsky, einen von drei Posten verlieren wird. „Die Frage ist, ob davon die AfD oder die CDU profitiert“, sagt der amtierende stellvertretende Bezirksbürgermeister. Liecke ist dafür, mit den AfD-Leuten zu reden, sie einzubinden, ihnen kleinere Aufgaben zu geben. Im Bezirksamt wird darüber nachgedacht, wie man die Ressorts nach der Wahl neu zuschneiden könnte. „Denkbar wäre, dass er oder sie dann das Friedhofsamt übernehmen, wenn sie Anspruch auf einen Posten haben“, sagt er.

In Neukölln hat man Erfahrung mit rechtsradikalen Parlamentariern. Anfang der neunziger Jahre, als auch sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, griffen die Republikaner die fremdenfeindliche Stimmung auf. 1992 kamen die rechtsradikale Partei auf über 10 Prozent in Neukölln, Tiergarten, Reinickendorf und Wedding. Die Rechtsradikalen durften in Neukölln den Gesundheitsstadtrat stellen, der aber nach zwei Jahren abgewählt wurde, weil er eine Beratungsstelle für Alkoholiker schließen wollte.

Debatte über Verfassungsänderung

Um potenzielle Extremisten von den Posten fernzuhalten, kursiert offenbar auch ein anderes Szenario: eine Verfassungsänderung, die die Machtverteilung in den Bezirksämtern ändern würde. Demnach würden die fünf Posten (ein Bürgermeister, vier Stadträte) nicht mehr proportional, sondern nach Mehrheitsverhältnissen gewählt. Die stärkste Fraktion könnte dann theoretisch alle Posten besetzen. Es ist ein Modell, das unter dem Stichwort „politisches Bezirksamt“ seit Jahren immer wieder diskutiert wurde, aber nie umgesetzt wurde. Um eine solche Verfassungsänderung durchzusetzen, blieben dem Landesparlament nur noch drei Sitzungen.

Es gibt kaum einen Politiker, der öffentlich Sympathien für solch ein Manöver erkennen lassen möchte – weil es nach einem Schnellverfahren aussehen würde, unliebsame Konkurrenten auszuschalten. „Man sollte keine Gesetze verändern, sondern es durch eine gute Politik schaffen, dass diese Partei (AfD) keine Stadträte in den Bezirken stellt“, sagt der CDU-Generalsekretär Kai Wegner. Auch der größere Koalitionspartner hat keine Lust auf die Debatte. „Es gibt keine Pläne, die Verfassung zu ändern“, sagt der innenpolitische Sprecher der SPD, Frank Zimmermann. Eine weitere Stärkung der Bezirke würde der Stadt nicht guttun.

Das sieht sein Parteifreund Stefan Komoß, Bürgermeister von Marzahn-Hellersdorf anders. Er sieht die Vorteile des Mehrheitsbezirksamtes, wie mehr Effizienz, würde eine Einführung aus Angst vor der AfD aber für falsch halten. Er hält nichts davon, die AfD mit Tricks rauszuhalten, wenn die Partei tatsächlich ins Bezirksparlament ziehe, dann muss man damit umgehen. „Wenn Hamburg einen Senator Schill überstehen konnte, dann kommen wir auch mit der AfD zurecht“, sagt er.

Befürchtungen bei Linkspartei und Grüne

Auch Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer fürchtet, dass ein Schnellverfahren, um die AfD rauszuhalten, eher den gegenteiligen Effekt hätte: „Das würde den Opfermythos der Partei stärken“, sagt er. Ähnlich äußert sich die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, sie erkennt in solchen Gedankenspielen einen Mangel an Vertrauen ins System. „Politische Gegner durch derartige Tricks auszuhebeln, halte ich nur für bedingt demokratisch und stärkt das Opfergefühl der Ausgegrenzten. Ist unsere Demokratie so schwach?“, sagt sie. Parteiübergreifend, von CDU bis Linkspartei, sind sich alle einig, dass man, um große Wahlerfolge zu verhindern, die AfD argumentativ angreifen müsste, was auch immer das heißen mag.

Doch dass sich mehrere Parteien zusammenschließen, um eine einzelne Gruppierung auszuschließen, ist nichts Neues. Die ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf, Dagmar Pohle , erinnert daran, dass 2002 eine Koalitionsregeln eingeführt wurde, die allein dazu dienen sollte, Bürgermeister von der Linkspartei in den Ostbezirken zu verhindern. Die Parteien konnten sich in sogenannten Zählgemeinschaften zusammenschließen, die allen dazu dienen, den Bürgermeister zu wählen. Der Erfolg war allerdings mäßig, Linken-Politikerin Pohle war von 2006 bis 2011 Bezirksbürgermeisterin, unterstützt übrigens von der CDU.