Berlin: Die Linke feiert ihre Stimmenverluste als Sieg
Die Sozialisten haben genau wie die beiden Partner im rot-grün-roten Senat verloren. Aber sie sehen sich als Sieger innerhalb dieses Dreierbündnisses.

Die Linke war und ist eine Ost-Partei. Auch in ihrer wichtigsten Stadt Berlin. In den Wahllokalen im einstigen Ost-Berlin behauptete Die Linke bei der letzten Wahl sogar noch immer ganz knapp Platz eins vor der SPD, im Westen kam sie gerade mal auf Platz vier. Das wird sich sicher auch an diesem Wahlsonntag nicht wesentlich verändert haben. Und obwohl Die Linke eine Ost-Partei ist, feiert sie ihre Wahlparty am Sonntagabend nicht etwa in einem Ostbezirk wie Lichtenberg, sondern im Kreuzberger Statthaus Böcklerpark.
Sie alle sind da: Spitzenkandidat Klaus Lederer, Landesvorsitzende Katina Schubert sowie die Bundesvorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan. Im Saal warten sie auf die Zahlen. Und die Zahlen auf den Bildschirmen links und rechts der Bühne verkünden, dass Die Linke nur etwa zwei Prozent gegenüber dem ersten Wahlgang im September 2021 verloren haben könnte. Dieser Stimmenverlust sorgt nicht nur für Beifall, sondern für ausgelassenen Jubel, für herzliche Umarmungen und Freudentänze.
„Klaus, Klaus, Klaus“-Sprechchöre
Die CDU ist bei der Wiederholungswahl in Berlin der unangefochtene Wahlsieger, aber Die Linke feiert sich ebenfalls als Siegerin. Klaus Lederer, der amtierende Kultursenator, tritt auf die Bühne, das Publikum feiert ihn mit „Klaus, Klaus, Klaus“-Sprechchören. Er erinnert erst einmal an andere Wahlabende: „Die vergangenen Wahlen liefen ja meistens nicht so toll für uns. Da haben wir uns nicht selten auch mal halbiert.“ Als das Verfassungsgericht dann die Neuwahl verfügt habe, da sei ihm sein Herz in die Hose gerutscht. „Oh Gott, da steht uns was bevor.“ Doch dieses Ergebnis sei ein Erfolg. Dann lobt er den 90-Tage-Wahlkampf seines Landesverbandes.
Es ist schon eine eigentümliche Situation: Die Zahlen geben keinen echten Grund für einen solchen Jubeltaumel her. Das konservative Lager hat im „linken“ Berlin klar zugelegt und stellt die beiden Wahlsieger: Die CDU ist erstmals seit 20 Jahren auf Platz eins, auch die AfD legt zu. Die FDP verliert allerdings. Aber der rot-grün-rote Senat wurde klar abgestraft: Alle drei Parteien verlieren. Um die eigenen Verluste als einen Sieg zu feiern, ist schon typische Parteien-Logik nötig. Und die geht im Falle der Linken dieses Mal so: Zwar haben die Grünen wohl weniger verloren als wir, trotzdem sind wir die Sieger in unserem Dreierbündnis.
Der Grund ist einfach: Es gab diesen alles bestimmenden Dreikampf von SPD, Grünen und CDU ums Rote Rathaus. Franziska Giffey und Bettina Jarasch kämpften darum, wer Regierende Bürgermeisterin wird, doch dann nahm Kai Wegner von der CDU ihnen den Sieg weg.

Damit sind die beiden Koalitionspartner der Linken nun die großen Verlierer des bisherigen Dreierbündnisses. Das ist der Grund für den großen Jubel der Linken.
Doch so ganz geht diese Logik nicht auf. Denn wenn die Parteiführung der Linken von einer „Materialschlacht“ der drei anderen Parteien spricht, wird damit verschwiegen, dass es für Die Linke mit drei Leuten auf Senatorenposten viel leichter ist in einem Wahlkampf zu punkten als aus der Opposition heraus.
Trotz allem Jubel geht in dem Saal in Kreuzberg eine bange Frage um: Wird die Partei in der Regierung bleiben? Oder wendet sich einer der beiden bisherigen Partner dem Wahlsieger CDU zu? Klaus Lederer sagt dazu nur: „Darüber werden wir ab Montag zu sprechen haben.“ Und die Berliner Parteichefin Schubert sagt, Die Linke sei wichtig: „Wir müssen das regeln, was der Markt nicht regelt.“ Die Linke stehe für eine soziale und bezahlbare Stadt und eine gerechte Mietenpolitik. Die Landesvorsitzende erinnert aber auch daran, dass weder die Gesellschaft noch ihre Partei gerade leichte Zeiten erlebten.
Auch der Ort für die Wahlparty zeigt einen Grund für die Probleme der Linken: Sie drängt in zu viele Richtungen, will zu viele Gruppen bedienen.
Dabei hat sie vieles richtig gemacht. Sie tritt wiedererkennbar mit den immer gleichen weiß-rot-schwarzen Wahlplakaten auf. Sie ist eine Partei, die Inhalte auf die Plakate druckt wie „Schulen sanieren, neue bauen“ oder „Löhne rauf, Mieten runter“. Ihre Regierungsmitglieder arbeiten solide und skandalfrei. Aber kaum jemand kennt ihre Justizsenatorin. Und so verfängt die kontinuierliche Arbeit beim Wahlvolk nicht so recht, auch nicht, dass die Berliner Linke nicht durch linksradikale Revolutionsromantik auffällt, sondern durch Pragmatismus. Doch selbst viele Linke-Wähler wissen längst nicht mehr, wer die Partei anführt.

Außerdem tritt Die Linke im Bund fast gar nicht mehr öffentlich in Erscheinung – außer in Person von Sahra Wagenknecht, die bei vielen in der Parteiführung unbeliebt bis verhasst ist und die nicht wenige loswerden würden, wenn die Partei dann nicht völlig aus der Wahrnehmung verschwände.
Im Kreuzberger Saal wird auch über Sahra Wagenknecht gesprochen. Darüber, dass ihre Friedens-Petition mit Alice Schwarzer zwar für Schlagzeilen sorgt, aber viele Wähler abschreckt, weil auch spekuliert wurde, ob sie mal wieder eine eigene Partei gründen will. Und dann unterschrieb auch noch der AfD-Chef die Petition. Nicht jede Form von Aufmerksamkeit sorgt für Pluspunkte. Nun kann Die Linke nur noch abwarten, ob sie weiter mitregieren darf.