Wandbild an Cuvrybrache übermalt: Schwarz ist das neue Blu
Berlin - Es ist nicht einfach mit den Kreuzbergern. Wer sie verstehen will, der muss ihre Widersprüchlichkeiten aushalten. Zum Beispiel dass man sich dort gerne als weltoffen und progressiv versteht. Einerseits. Andererseits haben es die Kreuzberger gerne, wenn alles so bleibt, wie es ist. Das heißt: laut, dreckig und bunt. Wobei laut (siehe Anwohnerproteste gegen Kneipen) und dreckig (siehe Görlitzer Park) oft nur noch als Idee gemeint sind. Bunt aber soll es in jedem Fall bleiben. Und Systemkritik geht immer.
Die Ikone dieser Haltung prangte seit sechs Jahren an der Schlesischen Straße: ein riesiges Wandgemälde an den Brandmauern neben der Cuvrybrache, einem der letzten freien Grundstücke an der Spree. Auf der einen Seite rückt sich eine Figur die Krawatte zurecht, ihre Handgelenke schmücken zwei dicke Armbanduhren, die sie wie Handschellen aneinanderketten, auf der anderen reißen sich zwei die Masken von den Köpfen.
„Reclaim Your City“ hieß der Slogan zum Bild. Hol dir die Stadt zurück. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag verschwand das Bild unter einer Schicht schwarzer Farbe.
Mit ausgestrecktem Mittelfinger
Gegen 22 Uhr tauchte davon das erste Foto auf Twitter auf: zwei Hebebühnen, Männer mit großen Farbrollen. In den darauffolgenden Stunden dokumentierten Passanten, wie eines der berühmtesten Werke Berliner Street Art zerstört wurde.
Gemalt hatte die Bilder der italienische Künstler Blu, der seit 1999 die Welt mit politischen Botschaften schmückt. Blus Bild an der Cuvrybrache trug maßgeblich dazu bei, dass Berlin überhaupt als Street-Art-Metropole bekannt wurde. Es ist zuletzt fester Bestandteil von Graffiti-Touren gewesen. Auch das lässt sich so schön an diesem Bild zeigen: Der Kreuzberger Unangepasstheit haftet – immer schon – eine gewisse Museumshaftigkeit an. Und: Street Art ist heute längst im Mainstream angekommen, auch Blu.
Sorge um die Bilder gab es schon seit September, seit das Hüttendorf, das die Brache besetzte, gebrannt hatte und der Eigentümer Artur Süsskind seinen Willen, dort Wohnungen zu bauen, Nachdruck verlieh, indem er das Gelände räumen ließ. Mehr als 7000 Unterschriften gab es in einer Online-Petition dafür, Blus Bilder unter Denkmalschutz zu stellen. Damit alles bleibt, wie es ist.
"Es war Zeit, die Bilder zu entfernen"
Kam dem jetzt der Eigentümer zuvor? Eine Ahnung, dass der mit der Aktion nichts zu tun hat, gab es, als zwischenzeitlich nur noch eine Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger zu sehen war.
Am Freitag ließ zunächst der Street-Art-Künstler Dmitry Paranyushkin die zu Wort kommen, die das Bild übermalten. Er hatte mit ihnen gesprochen: Man handle mit Blus Einverständnis, es gehe darum, die Bilder vor der Vereinnahmung zu bewahren, davor, dass sie der Investor benutzt, um den Wert seiner Wohnungen mit einem Ausblick auf einen echten Blu zu steigern.
Ist das nun nun die alte Systemkritik zu Ende gedacht oder, wie Paranyushkin auf seinem Blog anmerkt, die Kapitulation? Blu selbst meldete sich am Freitagabend: „Angesichts der Veränderungen in der Gegend, war es Zeit, die Bilder zu entfernen.“ Zurückgeblieben an den Wänden sind die Worte „Your City“. Deine Stadt. Die Kreuzberger dürfen rätseln, wer damit gemeint ist.