Warum es mich nervt, dass sich in Berlin niemand festlegen will
Unsere Autorin konnte es in Berlin nicht mehr aushalten und zog nach Wien. Manchmal ist sie trotzdem hier. Jetzt schreibt sie eine Kolumne: Wien–Berlin.

Eva Biringer ist Autorin, wurde 1989 geboren – und lebte lange Zeit in Berlin. Bis es ihr zu viel wurde und sie nach Wien zog. Sie ist Gastrokritikerin und Flaneurin und schreibt jetzt einmal im Monat für die Berliner Zeitung die Kolumne Wien–Berlin. Hier der Auftakt.
Berlin im Sommer ist wunderbar. So viele Möglichkeiten bietet die Stadt, und so viele davon nimmt sie uns wieder. Zugegeben liegt das derzeit oft an Corona. Während ich persönlich die erste Runde hinter mir habe – da war Wien Berlin seltsamerweise mal ein paar Schritte voraus –, scheinen aktuell 98 Prozent meines hiesigen Freundeskreises betroffen zu sein.
Die ersten monatelang im Voraus vereinbarten Abendessenverabredungen wurden schon Tage vorher gecancelt, meist in Verbindung mit einem Zwei-Striche-Schnelltest-Beweisfoto (ich glaube es euch auch so). Halbwegs spontanen Ersatz zu finden war ein Ding der Unmöglichkeit. Alle waren schon verplant oder mit dem 9-Euro-Ticket auf Sylt oder haben Kinder. Mit Eltern lässt sich nämlich, wie ich in letzter Zeit häufiger feststelle, besonders schwer kalkulieren. K.s Tochter bekam plötzlich Fieber, bei S. war irgendwas mit der Kita.

Mittagessen werden aufs nächste Jahr geschoben
Die kinderlose C. war schließlich bereit, mit mir das mit reichlich Vorschusslorbeeren bedachte Neuköllner Farm-to-Table-Bistro aufzusuchen, ein Konzept, das die Wiener Gastronomie dann überüberübernächstes Jahr bereichern wird. Am späten Nachmittag erhielt ich einen Anruf: Drei von fünf Köchen steckten an irgendeinem Flughafen fest, der BER war es jedenfalls nicht, weswegen das Restaurant leider an diesem Abend geschlossen bleiben müsse.
Das gab einem Tag, an dem sehr vieles sehr schiefgegangen war, den Rest. Berlin zeigte immer schon Symptome einer Festlegungsunverträglichkeit, und es wird, denke ich, schlimmer. Eigentlich hätte ich an diesem Vormittag eine Podcastaufnahme gehabt, erhielt aber auf meine E-Mail-Nachfrage, ob diese eh stattfinde, eine Fehlermeldung, was bedeutete, dass die Verantwortliche dort nicht mehr arbeitete.
Beim Hautarzt weigerte sich die irre schlecht gelaunte Sprechstundenhilfe, mir einen Termin zu geben, bevor ich mit dem Arzt gesprochen habe, wobei es grundsätzlich unmöglich ist, dort anders als auf persönlichem Weg einen Termin zu kriegen, weil nie jemand ans Telefon geht und E-Mails nur an Tagen, die auf k enden, beantwortet werden. Als Nächstes wurde ein für den folgenden Tag geplantes Mittagessen mit zwei Angehörigen der Kreativbranche aufs nächste Jahr verschoben, kein Scherz, weil erst dann die Finanzierung ihres Projekts gesichert sei.
Ein einziger Tisch war frei
Wenigstens C. blieb bei ihrem Vorhaben, mit mir essen zu gehen. Unsere Wahl fiel auf einen Hummusschuppen in der Friedelstraße, der Reservierungen weder per Telefon noch E-Mail noch Instagram, sondern nur persönlich entgegennimmt. Es lag wahrscheinlich daran, dass meine an diesem Tag online bestellten Sandalen mit dem Lastenrad geliefert wurden statt per Post, sprich meinem guten Karma, dass ein einziger Tisch vor dem Fenster mit dem Schriftzug „Wohnungsauflösungen“ frei war.
Wegen der ausführlichen Erzählung ihres „Moskito“-Dilemmas (Moskitos am Paul-Lincke-Ufer? Ich glaube, es war ein Übersetzungsproblem) vergaß die Servicekraft leider uns mitzuteilen, dass unser Tisch nur für eine begrenzte Zeit frei war, weswegen wir Hummus-in-Doggy-Bags-schaufelnd genau dann das Weite suchten, als es begann, angesichts des Rote-Bete-Limo-trinkenden Pete-Doherty-Verschnitts am Nachbartisch lustig zu werden.
Es war, wie gesagt, ein herrlicher Sommertag
In Wien hat es neulich auch einmal nicht mit der reibungslosen Organisation geklappt. Die Angst vor Corona, ein fehlender Schanigarten (die österreichische Antwort auf die Berliner Gehweggastro). Die Verschieberin war maximal betrübt, inklusive zeilenlangen Bedauerns im Gruppenchat. Daran, dass mich so was beinahe irritiert, merkt man, wie lange ich in Berlin gelebt habe.
Es war, wie gesagt, ein herrlicher Sommertag, weswegen ich nach der Hummusaktion allein zur Rummelsberger Bucht fuhr, mit dem tröstlichen Gedanken, dass man sich in dieser Stadt wenigstens auf die Sonne verlassen konnte, insofern als dass sie auf eine sehr ästhetische Sicht untergehen würde. So war es dann auch.
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