Weg mit dem Müll: Ukrainerinnen räumen Berlin auf
Sie wollen anpacken, nicht nur warten: Geflüchtete Ukrainerinnen säubern Berlin Stück für Stück. Sie sagen: „Es tut gut, sich für etwas einzusetzen.“

Fröhliche Drängelei, lachend greifen die jungen Frauen nach den Müllzangen und -eimern. Vor dem S-Bahnhof Warschauer Straße wird die Putzaktion am sonntäglichen Spätnachmittag zum Event. Mehr als 100 Frauen, viele Kinder und einige wenige Männer wuseln mit den Arbeitsinstrumenten in gebückter Haltung den Bürgersteig entlang. Winzig ist die Beute, Glassplitter, Zigarettenkippen – Olena aus Saporischschja, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen will, pickt sie eins, zwei, drei zügig auf. Zu Hause arbeitete die 41-Jährige als Ingenieurin in einer Flugzeugfabrik. Der Berliner Dreck ist kein Hindernis für sie. „Weg damit“, sagt sie.
Im Café Ukraine der Berliner Stadtmission am Alexanderplatz haben sich die vor dem Krieg geflüchteten Frauen in der Fremde zusammengefunden. Sie wollen endlich etwas tun, nicht mehr nur warten: auf eine Wohnung, einen Schulplatz, auf Integrationskurse und Nachrichten aus der Heimat. „Die Nachrichten sind schlecht“, berichtet Varia aus Odessa auf Englisch traurig, streichelt dabei ihren Kindern Rina und Andreji über den Kopf. Mit der Zehnjährigen und dem Sechsjährigen an ihrer Seite späht und pickt sie eifrig weiter.

Aus der Beobachtung, dass mitunter viel Dreck auf Berlins Straßen liegt, entstand die Idee, die Stadt aufzuräumen. Anastasia Lebedynska, 28 Jahre alt, Übersetzerin aus Hostomel bei Kiew, sagt auf Englisch: „Der Hauptgrund für unsere Reinigungsaktion ist, zu zeigen, wie sehr die ukrainische Bevölkerung die Unterstützung des deutschen Volkes und der deutschen Regierung schätzt. Wir möchten allen Danke sagen, die in einer so schwierigen Zeit zur Ukraine stehen.“ Natascha, die Frau, die neben ihr steht, hat gerade mit ihrem Deutschkurs begonnen. Ein wenig holprig, aber verständlich sagt sie: „Wir sind so gut aufgenommen worden, das ist wunderbar.“
Verschmutzungshotspot Warschauer Straße in Friedrichshain
Was da alles rumliegt! Die Warschauer Straße, Partymeile in Friedrichshain, ist wahrlich verdreckt. Thomas Klöckner von der Berliner Stadtreinigung (BSR) berichtet: „Die Straße zählt zu den Verschmutzungshotspots in Berlin und weist durch ihre touristische Bedeutung, die hohe Veranstaltungsdichte in der unmittelbaren Nähe und dauerhafte Camps von wohnungslosen Menschen einen besonders intensiven Reinigungsbedarf auf.“
Für Bürgerinnen und Bürger, die die BSR unterstützen wollen, gibt es seit sieben Jahren die Aktion „Kehrenbürger“. Die Stadtreinigung spendiert Putzwilligen Besen, Greifzangen, Handschuhe, Westen und Müllsäcke. Weil die Aktion so beliebt ist, wird das Projekt auf unbestimmte Zeit fortgesetzt. Auch die Ukrainerinnen wollen sich jetzt öfter Materialien abholen. Sie planen regelmäßige Putzaktionen.

Wie ein Insektenschwarm bewegt sich die Putztruppe pickend runter bis zur East Side Gallery, Passanten stutzen, wundern sich. Was los ist, erklärt ihnen Anna Wasilewski. Die Berlinerin kennt sich aus mit Clean-ups, sie hat so einen kleinen Trupp, die „Litterpicker“, vor einem guten Jahr in Wedding gegründet. „Es tut gut, sich für etwas einzusetzen, das gibt Hoffnung.“

Im kleinen Parkstück an der Ecke Mühlenstraße weckt die enthusiastische Truppe einen Obdachlosen. Neben ihm stochern die Ukrainerinnen unentwegt im Gras, laufen hin, laufen her. Dabei schwatzen sie laut miteinander. Neben dem Putzen ist das das Wichtigste. Ana Lichtwer von der Berliner Stadtmission, die das Café Ukraine mitgründete, sagt: „So wächst ein stärkendes Netzwerk, in dem sie gemeinsam weitergehen können.“