Wenn dieses Bauwerk bricht, ist Berlin in Gefahr – bald entsteht es neu
Spree und Landwehrkanal würden fast leerlaufen, der Müggelsee wäre plötzlich viel kleiner, wenn es das Wehr Mühlendamm nicht mehr gäbe. Aber es ist alt.

Es ist ein Berliner Bauwerk, das kaum jemand kennt. Aber es ist überaus wichtig für diese Stadt. Denn wenn das Wehr Mühlendamm brechen würde, bekämen das zahlreiche Berliner unangenehm zu spüren. „Der Wasserstand in der Spree würde plötzlich um rund anderthalb Meter sinken“, sagt Rolf Dietrich, Leiter des Wasserstraßen-Neubauamts Berlin. Auch im Müggelsee, im Teltowkanal und anderen Gewässern gäbe es mit einem Schlag extremes Niedrigwasser – mit fatalen Folgen. Weil das Wehr in Mitte nach über 90 Jahren ans Ende seiner Tage angelangt ist, wird es ersetzt. Beim Neubau wird auch an Welse und andere Fische gedacht. Für sie könnte die Spree zur Wanderroute werden.
Wenn Gleise und Fahrbahnen gebaut, Wohnhäuser und Schulen errichtet werden, stößt das meist auf Interesse. Wasserbauprojekte haben es schwerer, Aufmerksamkeit zu bekommen. Dabei sind sie nicht weniger bedeutsam. Wehre sind Sperrbauwerke, sie können Wasser stauen. Mit ihrer Hilfe lassen sich sowohl Überschwemmungen als auch Niedrigwasser verhindern. Dieses Wehr hat Berlin schon viel erspart.
„Es darf nicht passieren, dass das Wehr Mühlendamm bricht. Für die Wasserhaltung in Berlin ist die Anlage unverzichtbar“, erklärt Rolf Dietrich. So sorgt das Wehr dafür, dass auf einem großen Teil des Berliner Gewässernetzes Schiffsverkehr möglich ist. Außerdem verhindert der von ihm erzeugte weiträumige Wasserstau, dass Holzpfähle, auf denen Gebäude ruhen, anfangen zu faulen. Nicht zuletzt trägt das Bauwerk in Mitte entscheidend dazu bei, dass die Berliner Stadtlandschaft weiterhin gut aussieht, attraktiv zum Wohnen bleibt und der Erholung dienen kann.

Nicht auszudenken, wenn Teile der Spree, der Müggelsee, die Dahme, der Landwehr- sowie der Teltowkanal bis Kleinmachnow nur noch müffelnde Pfützen oder Rinnsale wären. Der Amtsleiter formuliert es drastisch: „Ohne dieses Wehr würde Berlin leerlaufen.“
Nebenan befindet sich eine der verkehrsreichsten Schleusen Deutschlands
Die für Berlin so wichtige Anlage ist allerdings in die Jahre gekommen. Verwunderlich ist das nicht, sie ist nach heutigen Maßstäben schon ziemlich alt. „Die heute vorhandene Wehr- und Schleusenanlage Mühlendamm ist im Zuge des Ausbaus der Spree in den Jahren 1935 bis 1942 entstanden“, sagt Dietrich.
Die Doppelschleuse, die zu den verkehrsreichsten Schleusen in Deutschland gehört, die Mole sowie Teile der Uferwand zum Wehrgraben stehen unter Denkmalschutz. Als das Ensemble vor knapp neun Jahren untersucht wurde, war das Ergebnis negativ. Schon bald stand fest, dass das Wehr abgetragen und neu gebaut werden muss. Andere Bereiche müssen saniert werden. Auch das Wehr im Spreekanal muss neu errichtet werden – aber das kommt später.
Das Planfeststellungsverfahren hat stattgefunden, seitdem gibt es eine Genehmigung. 2018 wurde dieser Teil des historischen Stadtzentrums auf Kampfmittel hin untersucht. „Dabei haben wir keine Bomben gefunden, dafür aber ein historisches Straßenschild aus der Zeit vor dem Umbau der Fischerinsel und einen alten Holzkahn, vermutlich in den 1920er-Jahren gebaut und in den Kriegswirren versenkt“, erzählt Rolf Dietrich.

Die Pandemie bescherte auch diesem Bauvorhaben Verzögerungen. Doch inzwischen wurden die Vorbereitungen intensiviert, und in diesem Jahr wird der Startschuss für die Arbeiten fallen, kündigt der Leiter der Bundesbehörde an. „Wir peilen den Baubeginn für Herbst 2023 an“, sagt er. Das Bauvorhaben soll rund zwei Jahre in Anspruch nehmen.
Künftig rückt das Wehr näher an die Bebauung der Fischerinsel heran
Das Wehr bleibt auf der südlichen Spreeseite, aber der Neubau entsteht rund 200 Meter stromaufwärts vor dem Hochhaus Fischerinsel 2. Dessen Bewohner werden die Spree stärker als bisher zu hören bekommen. Wasser, das durch ein Wehr flussabwärts fließt, kann Geräusche erzeugen. Heute werden sie noch durch die Mühlendammbrücke abgefangen, die das heutige Wehr überspannt, und gehen im Verkehrslärm unter. Die akustische Situation wird sich ändern. Auch die Brücke wird neu gebaut.
Das geplante Wehr wird der Wasserhaltung dienen – in der Spree, der Dahme, im Müggelsee, im Landwehr- und Neuköllner Schifffahrtskanal sowie im Teltowkanal bis nach Kleinmachnow. Die Ziele sind fest definiert. Damit Schiffe unter den Brücken hindurchkommen, soll am 17 Kilometer entfernten Pegel Köpenick auch künftig ein Wasserstand von 32,50 Meter NHN nicht überschritten werden. NHN bedeutet Normalhöhennull, gemeint ist die Höhe über dem Meeresspiegel. Zu seicht dürfen die Gewässer aber auch nicht sein. Das Stauziel, wonach am Mühlendamm ein Mindestwasserstand von 32 Meter NHN nicht unterschritten werden darf, wird bleiben.
Die geplanten Fischtreppen machen rund die Hälfte der Baukosten aus
Die Planer haben allerdings noch eine weitere Aufgabe bekommen. „Die neue Anlage muss ökologische Durchgängigkeit gewährleisten“, sagt der Amtsleiter. Fischen muss es möglich sein, die Staustufe in beiden Richtungen zu passieren. Deshalb bekommt das neue Wehr ein treppenartiges Bauwerk, das unter anderem zwölf große Becken umfasst. Bemessen wurde es so, dass in Zukunft ausgewachsene Welse die Anlage passieren können. Solche Fische können eine Länge von 1,60 Meter erreichen.
„Die Fischtreppen machen rund die Hälfte der Baukosten aus“, sagt Dietrich. Derzeit kalkuliert der Bund mit insgesamt 42 Millionen Euro. Bis Welse und andere Fische tatsächlich von der Elbe kommend quer durch Berlin zum Müggelsee schwimmen können, wird noch viel Zeit vergehen. Weil weitere Wehre angepasst werden müssen, werde die ökologische Durchgängigkeit auf der gesamten Distanz wohl erst 2030 erreicht, sagte der Amtsleiter. Dann könnte Berlin nach Fledermäusen, Staren, Krähen oder Bibern für weitere tierische Besucher ein Anziehungspunkt werden.