Weinfest: Countdown am Brunnen in Wilmersdorf
Rüdesheimer Platz, 21.05 Uhr: Der Countdown startet, die Lichterkette um den Platz vor der Holzbude blinkt. An, aus, an, aus. Es ist das Signal für den Anfang vom Ende, das Zeichen für den letzten Ausschank von Riesling, Weißburgunder, Spätburgunder. Denn ab 21.30 Uhr gibt es nichts mehr, und Punkt 22 Uhr muss der Platz am Weinbrunnen gar geräumt sein. Dann müssen Gläser zurückgegeben, Tischdecken ausgeschüttelt, Geschirr und Picknickreste wieder in den Körben verstaut sein. Denn ein Anwohner hat vorigen Mittwoch beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag auf Rücknahme der gaststättenrechtlichen Erlaubnis gestellt. Angeblich wegen zu viel Lärms. Hat er Erfolg, könnte auf dem Rüdi bald Schluss sein mit der Idylle unter den Linden. Dabei wurden die Öffnungszeiten in diesem Jahr bereits verkürzt: Freitag und Samstag um jeweils eine Stunde.
Eigentlich ist der Weinbrunnen eine Bretterbude, in der Weine aus dem Rheingau ausgeschenkt werden, jedes Jahr zwischen Mai und September. Seit 47 Jahren ist das so. Dann sitzen Alt und Jung dicht beieinander, um Picknick zu machen, weil man die Speisen mitbringen darf, Kartoffelsalat, Brezen, Braten, Käse. An die 200 Gäste sitzen an den Tischen, manche sind mit einer weißen Tischdecke bedeckt. Es sind Familien mit Kindern, Freunde haben sich verabredet, Anwohner, die sich reihum begrüßen. Freie Plätze gibt es am Freitagabend nicht, selbst auf den Bänken am Rand hat man sich niedergelassen. Bis die Gemütlichkeit abrupt endet.
21.14 Uhr: Die Fenster der Holzbude werden geschlossen. Nur eine Luke ist noch offen, für die Rückgabe von Gläsern und Flaschen. Mit Bitten und Betteln gibt es noch ein Glas Wein. Aber nur eins und „ganz ausnahmsweise“.
21.37 Uhr: Winzer Reiner Abel dreht seine Runde, geht von Tisch zu Tisch: „Schönen guten Abend, Sie wissen, dass Sie den Platz bis 22 Uhr räumen müssen?“ Da haben die meisten schon zusammengepackt, da sind die ersten bereits gegangen.
War es wirklich so laut? Gefühlt nicht. „Das sind Zugezogene, die sich beschweren“, sagt eine Frau. „Wer hier lange wohnt, käme nicht auf so eine Spießer-Idee.“ Tatsächlich haben zwei Lärmmessungen Werte zwischen 51 und 54 Dezibel ergeben, also irgendwo zwischen Kühlschrankgeräuschen und einem normalen Gespräch.
21.40 Uhr: Die Lichterkette blinkt nicht mehr, das Licht ist aus. Die letzten holen sich ihren Pfand für die Gläser zurück.
21.55 Uhr: „Noch fünf Minuten bis zum Schluss“, sagt Winzer Reiner Abel und stellt Stühle und Tische zusammen. Abel, der aus dem Rheingau-Städtchen Oestrich-Winkel kommt, sagt, dass „das alles auf Dauer schon ein bisschen nervt. Ich würde mich mit den Leuten auch lieber über Wein unterhalten, als sie abends vom Platz schicken zu müssen“. Seit 15 Jahren kommt er jedes Jahr für mehrere Wochen nach Berlin und schenkt aus. Jetzt hat er sich einen Anwalt genommen, es geht um sein Recht, um sein Geschäft.
Punkt 22 Uhr: Abel zieht Absperrgitter am Zugang zum Weinbrunnen zu und sichert diese mit Schlössern. Feierabend am Rüdesheimer Platz. Die meisten Gäste sind weg. Ohne zu meckern oder zu maulen, ohne zu grölen, zu singen oder gar zu protestieren. In Wilmersdorf ist das Publikum eben gesittet.