Weiter Streit um Flüchtlingscamp: Flüchtlinge enttäuscht, Tumulte beim Runden Tisch
Berlin - Zeitweise ist das Gebrüll so laut und die Atmosphäre so spannungsgeladen, dass Caritas-Sprecher Thomas Gleißner schon sein Handy bereit hält, um die Polizei zur Hilfe zu rufen. Eigentlich haben Caritas und Diakonisches Werk am Mittwochnachmittag zu einer Pressekonferenz eingeladen, um zu berichten, ob der von den beiden kirchlichen Wohlfahrtsverbänden einberufene Runde Tisch voran kommt, der sich für eine Verbesserung der Lage der Flüchtlinge in Berlin einsetzt.
Aber in dem Versammlungsraum des Diakonischen Werkes Stadtmitte in der Kreuzberger Graefestraße spielen sich tumultartige Szenen ab. Unter den Flüchtlingsgruppen ist ein offener, emotionsgeladener Streit ausgebrochen über die am Vortag vom Senat präsentierte Einigung zur Räumung des Protestcamps auf dem Oranienplatz und der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule.
Barbara Eschen und Ulrike Kostka, die Chefinnen von Diakonie und Caritas, kommen auf ihrer eigenen Veranstaltung kaum zu Wort. Einige Stunden haben sie mit Vertretern der Flüchtlinge und des Senats die aktuelle Lage beraten. Dringend müssten weitere Unterkünfte beschafft werden, sagt Kostka. Immerhin sei die Nutzung des Weddinger Caritas-Heimes um zwei Monate verlängert worden, in dem seit dem ersten Versuch zur Räumung des Oranienplatzes zum Jahresende rund 80 Lampedusa-Flüchtlinge provisorisch untergebracht sind.
Offener Schlagabtausch
Zu einer Bewertung des Senatsangebotes sehen sich Eschen und Kostka nicht in der Lage, appellieren aber an Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD), die Gespräche wieder aufzunehmen. Auch die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, ebenfalls Teilnehmerin des Runden Tisches, sagt am Mittwoch: „Das Paket ist nicht fertig. Es darf nicht sein, dass die verschiedenen Gruppen aufeinandergehetzt werden.“ Am Dienstag hatte sie das ausgehandelte Papier noch gelobt.
Zwischen jenen drei Flüchtlingsvertretern, die das Kolat-Papier unterzeichnet haben, und anderen Delegationsmitgliedern, die davon offenbar nichts wussten, kommt es während der Pressekonferenz zum offenen Schlagabtausch. Auch der Flüchtlingsrat, der lange an den Verhandlungen beteiligt war, kritisiert jetzt „die Schein-Einigung“. Von ihr profitiere lediglich eine von insgesamt fünf Gruppen, nämlich jene Lampedusa-Flüchtlinge, die in Deutschland bislang keine Asylverfahren beantragt hätten, sagt die Ratssprecherin Martina Mauer. Die Gruppe habe auch kein Mandat besessen, die Räumung der Schule zuzusagen. Kolat sei noch am Montag vom Flüchtlingsrat darauf hingewiesen worden, dass es zahlreiche offene Fragen gebe, deren Klärung Zeit brauche.
50 Stunden verhandelt
Die Senatorin betont am Mittwoch auf Anfrage, dass eine große Gruppe der Flüchtlinge hinter ihrem Angebot stehe. „Selbstverständlich führen wir den begonnenen Dialog fort – mit ihnen wie mit denjenigen, denen wir die Hand auch ausgestreckt haben, die das Angebot bisher nicht annehmen wollen.“ Ihr Ziel sei es, den Betroffenen in ihrer rechtlich schwierigen Situation mehr Sicherheit zu geben. Den Flüchtlingsrat fordert Kolat auf, eine friedliche Lösung nicht zu gefährden und wieder konstruktiv mitzuarbeiten.
Ihr Sprecher Mathias Gille betont zudem, dass der Flüchtlingsrat den geplanten Zeitablauf gekannt habe: „Es gab keine Hinterzimmerpolitik.“ Insgesamt habe Kolat 50 Stunden mit den Flüchtlingen verhandelt. Die Treffen fanden in den Räumen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes statt, dessen Vorsitzende Barbara John an den Gesprächen beteiligt war.
Zudem habe die Senatorin vor zwei Wochen auf dem Platz über den Verhandlungsstand informiert. „Alle Anwesenden wussten Bescheid“, sagt Gille. Am Montagabend habe es eine Versammlung mit der Senatorin und rund 120 Teilnehmern im Nachbarschaftshaus ORA 34 gegeben. Kurz vor der Senatspressekonferenz am Dienstag habe sich Kolat im Büro der Integrationsbeauftragten zu einem weiteren Gespräch mit etwa zehn Vertretern der Flüchtlinge getroffen. Bislang hätten drei von sieben an den Verhandlungen beteiligten Flüchtlingen das Einigungspapier unterschrieben. Ein vierter Vertreter habe dies angekündigt.