Wenn der Akku langsam quengelt
Für den Impfnachweis braucht man ein aufgeladenes Mobiltelefon. Wenn es eng wird, gibt es in der Stadt nur wenige freie Steckdosen.

Jede Zeit hat ihre eigenen Nöte, doch dass ein Akku mal den Tag takten könnte, hätte ich nicht für möglich gehalten. Meiner ist fast leer, elf Prozent zeigt das Smartphone und meckert piepsig. Das ist eigentlich eine große Verführung, tut sich doch unerwartet Raum auf für alles, wofür man keinen Strom braucht: Lesen. Nachdenken. Schreiben. Leute anlächeln. Zuhören. All das. Doch ich bin unterwegs und der Nachmittag ist bis in den Abend hinein gefüllt mit Vorhaben, für die ich den leidigen Impfnachweis brauche. Ich kaufe also ein zweites Ladegerät und wiege mich sanft in Sicherheit, dass mir eine Steckdose begegnen wird.
Ich suche im Einkaufszentrum, im Bahnhof, in der U-Bahn. Fühle mich wie ein Junkie, weil die mittlerweile neun Prozent mich zittrig machen. Muss ich zwei Verabredungen und etliche Erledigungen für heute abschreiben? Doch wofür hat man Mitmenschen. Hilfsbereitschaft ist das Wort der Stunde und wie oft durfte ich über ihre vielen Gesichter staunen in letzter Zeit. Ich betrete beherzt die Filiale einer Bäckerei-Kette, frage, ob ich das Telefon kurz aufladen dürfe und erläutere den Grund. „Eigentlich nicht“, sagt die Verkäuferin. Ich warte auf das „Aber“, doch es kommt keines. Acht Prozent.
Gegenüber sehe ich einen Döner-Imbiss. Der Mann hinter dem Tresen blitzt mich freundlich an, während er sein Fleischsäbel wetzt und ich muss lachen wegen der Kombination aus Mimik und Gestik. „Leider haben wir keine freien Steckdosen“, antwortet er auf meine Frage, dreht sich aber um und lässt den Blick schweifen. Wir wünschen einander einen guten Tag und ich fluche innerlich, dass meiner von einer Batterie abhängt. Sechs Prozent. Piep.
Auf meinem weiteren Weg zum Termin liegt ein winziger Coffeeshop, und ich wage einen letzten Versuch. Der Barista spricht mit einem köstlichen Singsang in der Stimme und so klingt es wie Musik, als er sagt: „Natürlich, setzen Sie sich.“ Er zieht sein eigenes Ladegerät aus der Steckdose auf dem Tresen und bietet mir die frei gewordene Stromquelle an wie einen Platz im Restaurant. „Bitte schön“, singsangt er und wendet sich, nachdem er mir einen Orangensaft gebracht hat, wieder seiner Zeitschrift zu.
Ich ziehe ein Buch aus der Tasche und überlege, ob ich künftig statt Lesestoff lieber ein Notstromaggregat einpacke, bevor ich in einen langen Tag in der Stadt aufbreche. Man trägt schwer an diesen Zeiten und wer es noch nicht kann, lernt jetzt, um Hilfe zu bitten.