Winterurlaub in den Alpen: Bitte nennt es nicht Kunstschnee!

Wer einen richtigen Winter erleben will, muss Berlin verlassen. Aber auch in den Alpen entkommt man dem Klimawandel nicht, stellt unsere Kolumnistin fest.

Herrlich weiß, wen kümmert's, ob es echt ist?
Herrlich weiß, wen kümmert's, ob es echt ist?Inigo Quintanilla/imago

Es soll schneien. Morgen vielleicht. Das sagten die Leute, als wir ankamen. Meine Freundin und ich waren gerade acht Stunden gefahren, durch ganz Deutschland, bis in ein Tal in den Alpen. Mit dem Auto, weil es keine gute Bahnverbindung gab und wir nicht fliegen wollten. Ich hatte ein mittelschlechtes Gewissen und einen verspannten Rücken. Beides muss man in Kauf nehmen, wenn man noch einmal eine Woche lang einen echten Winter sehen will, hatte ich mir in Berlin gedacht.

Als Kind habe ich jedes Jahr die Februarferien bei meinen Großeltern im Erzgebirge verbracht. An den Straßenrändern war der Schnee so hoch zusammengeschoben, dass ich dahinter verschwand, von den Dächern hingen meterlange Eiszapfen. Wenn die Sonne schien, fingen sie an zu tropfen. Mein Großvater warnte uns, sie könnten herunterkrachen. Ich wollte nicht von einem Eiszapfen erschlagen werden. Nachmittags gingen mein Bruder und ich rodeln oder versuchten vor dem Haus meiner Großeltern einen Iglu zu bauen.

Daran hatte ich gedacht, als mich meine Freundin vor einigen Wochen fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit in den Winterurlaub zu kommen. Nach Österreich. Richtig hohe Berge, kein Mittelgebirge. In so einem Winterurlaub war ich noch nie. Meine Freundin fährt Ski, Abfahrt, ich kann nur ein bisschen Langlauf. Kein Problem, sagte sie, mitten im Ort beginne eine herrliche Langlaufstrecke.

Die Luft roch nach Frühling, als wir aus dem Auto stiegen. An ein paar Hängen klebten vereiste Schneereste. Die Langlaufstrecke im Ort gab es nicht. Eine zweite Langlaufstrecke weiter oben gab es auch nicht. Es habe ja ewig nicht geschneit, sagte man uns. Man konnte aber mit einer Seilbahn in das über dem Ort gelegene Skigebiet fahren. Eine Hin- und Rückfahrt kostete für Menschen ohne Ski, hier Fußgänger genannt, 20 Euro. Ich bekam kurz Sehnsucht nach der BVG, ein Gefühl, mit dem ich im Urlaub nicht gerechnet hätte.

So wenig wie in diesem Winter hat’s noch nie geschneit

Das Geld war aber gut investiert, denn oben war alles weiß. Es sah wirklich sehr schön aus. Jemand aus dem Ort erzählte mir, dass es hier inzwischen 120 Schneekanonen gäbe. Das Wasser werde aus dem Tal in zwei Teiche am Berg gepumpt, um dort bei Minusgraden in Schnee verwandelt zu werden. Es handle sich um Trinkwasser, aber davon gebe es genug, keine Sorge. Das Wort Kunstschnee, lernte ich, kam nicht bei jedem hier oben gut an. Es handle sich um „maschinengemachten Schnee“, wurde mir erklärt. Ein Mann, der fast 50 war und aus dem Ort stammte, sagte: So wenig wie in diesem Winter hat’s hier noch nie geschneit. Aber in dieser Woche solle es ja noch werden.

Die Ankündigung zog sich durch meine Urlaubswoche. Meine Freundin fuhr Ski, ich fuhr für 20 Euro auf den Berg und lief über weiße Winterwanderwege, die vermutlich aus maschinengemachtem Schnee bestanden, vielleicht aber auch noch ein bisschen echten Schnee enthielten. Einmal setzte ich mich danach vor einer Hütte in die Sonne, um etwas zu essen. Am Tisch saßen eine Urlauberin aus der Schweiz und zwei Urlauber aus Baden-Württemberg. Meine Tischnachbarn erzählten, dass sie alle in den Bergen wohnten, in diesem Winter aber auch bei sich zu Hause kaum Schnee gesehen hätten. 

Dann sprach einer der Männer das K-Wort aus. Den Klimawandel gibt’s wohl doch, sagte er. Tja, sagten die anderen. Jemand erwähnte schmelzende Gletscher. Um uns herum wurden Drinks bestellt, so wie an jedem Nachmittag auf jeder Hütte.

Am letzten Tag des Urlaubs schneite es von morgens bis abends. Ich wanderte eine große Runde durch den frischen, echten Schnee und beschloss, mir das Gefühl für immer zu merken.