Wochenmarkt in Lichtenberg: So teuer ist das Einkaufen jetzt in Berlin
Brot, Mehl, Obst und Gemüse – alles ist teurer geworden. Liegt es wirklich am Krieg in der Ukraine? Spurensuche auf einem Berliner Wochenmarkt in Lichtenberg.

Kohraman Kescin ist wie jeden Morgen mit seinem Lieferwagen in den Großmarkt gefahren. Um drei Uhr ist er aufgestanden, hat sich seine grüne Latzhose angezogen, für einen Kaffee oder Tee hatte er mal wieder keine Zeit. Er musste los, in die grauen Hallen, in denen sich Obst und Gemüse stapeln, Männer und Frauen Schweinebäuche und Fische zerlegen.
Kescin ist seit Jahren Stammkunde im Großmarkt in Moabit. Auch an diesem Morgen ist er wie immer durch die Hallen gestreift und hat sich über die Vielfalt an Lebensmitteln gefreut. Erdbeeren, Spargel, Äpfel und Salate, Grapefruits, Ananas, Mangos – alles war zu haben. Nichts zu spüren sei von Versorgungsengpässen und Knappheit, erzählt er später, während er auf dem Anton-Saefkow-Platz in Lichtenberg Obst und Gemüse anbietet. „Ich musste aber schwer handeln, weil alles teurer geworden ist. Erschwinglich ist gar nichts mehr.“ Er zuckt mit den Achseln. „Ich bete jeden Tag, dass es wieder besser wird. Aber vermutlich wird es noch schlimmer.“
Kohraman Kescin ist seit 1998 Markthändler. Seit mehr als 20 Jahren steht er zweimal wöchentlich auf dem Anton-Saefkow-Platz in Lichtenberg. Es ist ein kleiner Platz, umringt von Plattenbauten und Geschäften. In den umliegenden Cafés ist Würzfleisch für 5,50 Euro der Renner, auch Jägerschnitzel mit Bratkartoffeln für 11,50 Euro wird gern gegessen.

Kescin, der an anderen Tagen auch Berliner Kitas mit Lebensmitteln beliefert, mag den Ort, er kennt die Kunden. Viele sind Rentner, andere Angestellte aus den Läden oder junge Menschen, die von der Schule kommen. Am Wochenende verkauft er seine Waren am Boxhagener Platz in Friedrichshain. Das ist einer der angesagtesten Märkte Berlins, beliebt auch bei Touristen. Der am Anton-Saefkow-Platz ist eher etwas für Insider und Anwohner.
Zeiten wie diese hat der gebürtige Türke in seinen ganzen Berufsjahren nicht erlebt. „Momentan gehen die Preise immer weiter hoch“, sagt er und zeigt entrüstet auf die Erdbeeren. Mehr als drei Euro kostet heute die 500-Gramm-Schale, Kescin bietet an diesem Tag zwei für sechs Euro an. Im Großmarkt hat er diese für fast zwei Euro pro Schale gekauft, zuzüglich sieben Prozent Mehrwertsteuer. Für ihn bleibt pro Kilo eventuell ein Euro Gewinn, aber nur, wenn er die Erdbeeren auch verkauft bekommt und er nicht auf der Ware sitzenbleibt. Spargel verkauft er heute für zehn Euro das Kilo, Mangold für vier. Ein Salat liegt bei 2,50 Euro. Der kostet im Einkauf derzeit 1,60 Euro, sagt Kescin, der seine Waren aus der Region, aber auch aus Übersee bezieht.
Noch mehr kann er die Preise in Lichtenberg nicht anheben. „Dann verschrecke ich die Kunden, die haben hier nicht viel auf Tasche“, sagt er, und er klingt verzweifelt. „Diese Krise trifft uns alle. Die Bauern, Hersteller, die Verkäufer und die Kunden.“ Früher kauften Menschen bei ihm für 20 Euro mehrere Zucchini, Salate oder Äpfel. „Heute sind es eine Zucchini, eine Aubergine oder zwei Äpfel. Viele haben Angst vor der Zukunft und sparen. Oder können es sich nicht mehr leisten.“
Auch auf dem Boxhagener Platz im betuchteren Friedrichshain registriert er inzwischen, dass die Menschen mehr aufs Geld achteten. Ein Mann, der gerade am Stand steht, nickt. Jüngst habe er an einer Frischetheke im Supermarkt gestanden, da habe Hackfleisch 12 Euro das Kilo gekostet, erzählt er. Doppelt so viel wie vor ein paar Wochen. „Seitdem esse ich hauptsächlich Gemüse und Obst“, sagt er und nimmt vier Äpfel vom Marktstand mit.

Die Ängste der Menschen sind nicht unberechtigt. Seit Wochen steigen die Preise – in Höhen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Erst waren es die Lieferengpässe durch Corona, jetzt ist es der Krieg in der Ukraine – das treibt die Kosten nach oben. Die Inflation ist inzwischen auf 7,9 Prozent gestiegen. Und dann sind da noch die um 38,3 Prozent gestiegenen Energiekosten, der teure Sprit. Für viele kaum bezahlbar.
„Da hilft auch der von der Regierung beschlossene Tankrabatt nichts“, sagt Kohraman Kescin. Er selbst müsse viel fahren und sehe derzeit weiterhin hohe Benzin- und Dieselpreise an den Tankstellen.
Die hohen Preise führen zur Zurückhaltung bei den Kunden, und das wirkt sich auf den deutschen Einzelhandel aus. Dort gingen die Umsätze ungewöhnlich stark zurück. Besonders heftig ist der Einbruch bei Lebensmitteln. Die Einnahmen fielen trotz der Corona-Lockerungen, so das Statistische Bundesamt, um 4,7 Prozent niedriger aus als im Vormonat. Real – also preisbereinigt – lag das Minus sogar bei 5,4 Prozent.
„Damit erreichte der reale Umsatz den tiefsten Stand seit Februar 2021“, so die Statistiker. Ökonomen hatten im Schnitt lediglich mit einem Rückgang von 0,2 Prozent gerechnet.

Ein Ende ist nicht in Sicht. Eine aktuelle Studie des Kreditversicherers Allianz Trade legt nahe, dass der Preisanstieg bei Lebensmitteln seinen Höhepunkt noch nicht erreicht hat. „Verbraucher müssen für Lebensmittel 2022 voraussichtlich deutlich tiefer in die Tasche greifen“, erklärte der Branchenexperte Aurélien Duthoit von Allianz Trade. In diesem Jahr seien im Lebensmitteleinzelhandel Preissteigerungen von 10,7 Prozent wahrscheinlich. Pro Person entspreche dies jährlichen Mehrausgaben von über 250 Euro.
Markthändler in Berlin-Lichtenberg: Die hohen Preise sind hausgemacht
Für Kescin und seine Kolleginnen und Kollegen auf dem Wochenmarkt in Lichtenberg sind die teuren Preise hausgemacht. Sie seien unerklärbar hoch, sagt er. „Viele bereichern sich an der Krise. Beim Tanken sind es die Mineralölkonzerne, die an der Preisschraube drehen, bei den Lebensmitteln die Zwischenhändler.“
Denn Lebensmittel – und auch deren Transport aus der EU oder Lateinamerika – hätten mit dem Krieg in der Ukraine nichts zu tun. Klar, Weizen komme von dort, der sei aber zum Großteil nach Afrika exportiert worden. „Dort müssen viele jetzt hungern“, sagt er und rollt mit den Augen. „Die Waren kommen nach wie vor bei uns an, doch niemand kann erklären, warum eine Kiste Ananas aus Chile inzwischen 20 Euro statt vorher acht Euro kostet.“ Gut, da seien die höheren Transportkosten und ab und an Lieferengpässe, aber alles andere könne er sich nicht erklären.

Am Stand nebenan ist die Soljanka ausverkauft. Es ist 11.30 Uhr, und der Markthändler Erik Fehlberg muss einen enttäuschten Kunden wieder fortschicken. „Die Suppen gehen bei uns schnell aus, sie sind für viele noch bezahlbar“, sagt er. Ein Liter Soljanka oder Gulaschsuppe kosten fünf Euro. „Wenn es mehr wird, verlieren wir Kunden. Wir versuchen jetzt schon, die Preise noch halbwegs stabil zu halten, aber im Einkauf zahlen wir inzwischen 30 Prozent mehr“, sagt der junge Mann aus Schönefeld, der seit Jahren den rollenden Familienbetrieb aufrechthält. „Unsere Kunden sind oft richtig geschockt, wenn sie von den Preissteigerungen berichten“, sagt er. Eine Frau, die am Stand die letzte Erbsensuppe kauft, zuckt mit den Schultern und sagt: „Ich bin früher für eine Woche einkaufen gegangen und habe 50 Euro ausgegeben, heute sind es mindestens 90 Euro.“ Allein die Butter sei mindestens einen Euro teurer, ebenso Lebensmittel wie Brot, Eier, Nudeln oder Speiseöl.
Das beobachtet auch die Markthändlerin Bianca Wojtalewicz. Die Berlinerin hat das Gefühl, alles falle gerade wie ein Kartenhaus zusammen. „Das ist die Globalisierung. Kippt ein Stein, kippen andere auch.“
Auch sie steht zweimal wöchentlich auf dem Anton-Saefkow-Platz. „Unsere Waren kommen aus Slubice in Polen. Wir fahren dreimal die Woche dorthin und kaufen ein. Doch wer glaubt, dort ist alles billiger, der irrt. In Polen sind die Einkaufspreise ebenso um 20 bis 30 Prozent gestiegen“, sagt sie. Sie musste inzwischen ihre Backwaren verteuern – von 1 auf 1,70 Euro. „Viele können sich das aber nicht leisten und daher kaufe ich auch weniger ein“, sagt sie.
Hier können wir die Preise noch halten, auch weil viele gerne polnische Waren kaufen und die Nachfrage recht hoch ist.
An ihrem Stand gibt es neben polnischem Konfekt – wie zum Beispiel Pflaume in Bitterschokolade – auch Klopse in Dillsauce für 2 Euro, Wodka mit Bisongras für 7,90 Euro oder eingelegte Gurken für 1,60 Euro sowie Konfitüre für 2 Euro das Glas. „Hier können wir die Preise noch halten, auch weil viele gerne polnische Waren kaufen und die Nachfrage recht hoch ist. Im Westen der Stadt haben wir damit keine Chance.“
Es ist Nachmittag geworden. Kohraman Kescin sortiert am Stand nebenan seine Waren. Er hat heute nicht viel Gemüse verkauft, er wird versuchen, es bis morgen frisch zu halten. Den Mangold für 4 Euro das Kilo kann er nicht mehr retten. „Ich biete ihn gleich billiger an. Wenn ihn keiner will, muss er leider weggeworfen werden, weil man ihn später nicht mehr essen kann. Es ist ein Teufelskreis.“
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