Wohnen in Berlin: Das Fenster zum Hof

Die Nerven von Helga Brandenburger sind nicht mehr die besten. Mitten in der Verhandlung vor dem Landgericht bricht die 64-Jährige in Tränen aus, muss den Gerichtssaal verlassen. Das ist eigentlich kein Wunder. Denn seit drei Jahren ist die Mieterin in einen bizarren Rechtsstreit verwickelt.

Es begann im April 2010. Da begann der Vermieter ihrer Wohnung, die Terrial Stadtentwicklung GmbH aus Biberach, mit umfangreichen Modernisierungen im Haus. Luxuswohnungen sollen in dem Gebäude in der Moabiter Calvinstraße 21 entstehen. Das mag für Berlin noch keine wirkliche Besonderheit sein. In den letzten 20 Jahren sind in der Stadt ganze Viertel luxusmodernisiert worden und die Mietpreise danach regelrecht explodiert. So wird es auch bei Helga Brandenburger werden. Ihre Miete dürfte nach Berechnungen des Berliner Mietervereins von 520 auf 897 Euro steigen.

Aber, und das wiegt noch viel schwerer – im Zuge der Umbauarbeiten in ihrem Haus sind bei der Rentnerin die Fenster in Küche und Bad auf der Hofseite einfach zugemauert worden. Das war im April 2010 und nicht etwa nur eine provisorische Baumaßnahme. Brandenburgers Fenster bleiben dauerhaft vermauert, weil der Vermieter direkt davor einen neuen Seitenflügel errichtet hat. Brandenburger minderte wegen der Baubelästigungen die Miete und zog vor Gericht. „Ich habe ja schließlich eine Wohnung mit Fenstern in der Küche und im Bad angemietet“, sagte die Rentnerin, die seit 2002 in dem 50er-Jahre-Bau wohnt. Und, Brandenburger bekam recht.

Das Zumauern ihrer Fenster sei unzulässig, urteilten die Richter am Amtsgericht und erließen gleich auch noch einen Baustopp. Allerdings wurde die Forderung der Hausbewohner – neben Brandenburger klagen noch fünf weitere Mietparteien – nach einer Mietminderung abgewiesen. Wegen des Urteils zu den Fenstern legte der Vermieter, die Terrial Stadtentwicklung GmbH, umgehend Berufung ein.

Richter appelliert an Kompromissbereitschaft

Jetzt wird der Fall von Frau Brandenburger nun am Landgericht in der Littenstraße in Mitte erneut verhandelt. Und was der Richter bei der Bestandsaufnahme des Falles sagte, könnte Frau Brandenburger zunächst vorsichtig optimistisch stimmen. Denn im Fall der zugemauerten Fenster sprach auch er von einem „erheblichen Eingriff“ in die Wohnqualität. Das müsse ein Mieter „nicht ohne Weiteres hinnehmen“. Der Vermieter habe wissentlich die Fenster von Frau Brandenburgers Wohnung zumauern lassen, um so den Anbau eines Seitenflügels realisieren zu können und sich so einen ganz erheblichen wirtschaftlichen Vorteil verschafft, so der Richter. Denn durch den Neubau, wenn er dann fertig ist, steigen die Mieteinnahmen natürlich beträchtlich.

Dagegen hat die Klägerin seit mehreren Jahren wirtschaftliche Nachteile. „Ich muss in der Küche ständig das Licht brennen lassen. Das kostet natürlich zusätzlich Geld.“ Eine Belüftung der beiden Räume sei außerdem nicht mehr möglich, sagte Brandenburger. „So kann man nicht mit Mietern umgehen“, befand auch ihr Anwalt Christoph Müller.

Trotzdem, auch wenn das Landgericht zu der Auffassung gelangen sollte, dass Frau Brandenburger wieder einen Anspruch auf Tageslicht in Bad und Küche haben sollte, ist fraglich, ob das Urteil auch durchgesetzt werden kann. Denn dann müsste die Terrial Stadtentwicklungs GmbH den gesamten neu gebauten Seitenflügel wieder abreißen lassen. Der Anwalt der Firma bezifferte den damit verbundenen Schaden auf sechs Millionen Euro. „Das würde das wirtschaftliche Aus für die Terrial bedeuten“, sagte er. Um dem vorzubeugen, dürfte die Terrial alle nur möglichen juristischen Mittel nutzen.

Also versuchte der Richter, an die Kompromissbereitschaft beider Seiten zu appellieren. „Vielleicht gibt es die Möglichkeit, die Beeinträchtigungen der Mieterin mit entsprechenden Zahlungen zu mildern“, schlug er vor.

Am kommenden Mittwoch soll es dazu nun ein Treffen zwischen dem Mieteranwalt Christoph Müller und dem Juristen der Terrial geben. „Wir sind an einer einvernehmlichen Lösung interessiert“, kündigte Letzterer an. Kommt es zu keiner Einigung, wird das Amtsgericht vermutlich Anfang Mai sein Urteil fällen.